Kartellrecht

Wichtige Entwicklungen im deutschen Kartellrecht im 1. Halbjahr 2023

In den ersten sechs Monaten des Jahres leitete das Bundeskartellamt (BKartA) u.a. erste Verfahren nach den neuen Energiepreisbremsen-Gesetzen ein und machte weiter von § 19a GWB Gebrauch. Daneben gab es insbesondere interessante höchstrichterliche Entscheidungen zu Kartellbußgeldverfahren und zum Kartellschadensersatzrecht.

I. Update zur 11. GWB-Novelle

Nur gut zwei Jahre nach Inkrafttreten der 10. GWB-Novelle Anfang 2021 hat der Bundestag im Juli die 11. GWB-Novelle beschlossen. Sofern der Bundesrat keine Einwände erhebt, wird die Novelle in der zweiten Jahreshälfte in Kraft treten. Über die endgültige Fassung werden wir an dieser Stelle berichten.

II. Fusionskontrolle

Im Berichtszeitraum hat das BKartA eine Reihe von Hauptprüfverfahren zum Abschluss gebracht. In diesen standen – ebenso wie in den erwähnenswerten Entscheidungen im Vorprüfverfahren – häufig duopolistische Marktstrukturen im Mittelpunkt.

1. Burda/Funke/BCN

Bereits im März hat das BKartA nach rund fünfmonatiger Prüfung die Beteiligung der Funke Mediengruppe an der Vermarktungsgesellschaft BCN des Burda Verlags freigegeben. BCN soll künftig von Burda und Funke gemeinsam kontrolliert werden und das jeweilige Werbeinventar der Mütter vermarkten. Inhaltlich hat das Amt insbesondere den Anzeigenmarkt und daneben auch den mittelbar betroffenen Lesermarkt und den Online-Werbemarkt untersucht. In sachlicher Hinsicht grenzte es dabei den Anzeigemarkt für die Zeitschriftenkategorien Regenbogenpresse, TV-Programm, TV-Supplements und Apotheken-Kundenzeitschriften ab. Die Einbeziehung alternativer Werbekanäle wie das Internet, soziale Medien, TV, Radio, Plakat oder Anzeigenblätter wurde zwar erwogen, stellte nach Ansicht der Anzeigenkunden aufgrund unterschiedlicher Zielgruppen bzw. höherer Kosten jedoch keine gleichwertige Alternative dar. Einen gewissen Substitutionswettbewerb erkannte das Amt jedoch an.

Nachdem das BKartA 2014 noch ein wettbewerbsloses Oligopol für den Anzeigenmarkt für TV-Programmzeitschriften festgestellt hatte, kam es trotz Überschreitens der Schwelle der Oligopolvermutung zu einem gegenteiligen Ergebnis. Seit 2014 habe es erhebliche Marktanteilsverschiebungen bei allen Marktteilnehmern gegeben und die Rabatte lägen auf hohem Niveau. Trotz des Vorliegens einiger die Kollusionsgefahr erhöhender Faktoren wie schrumpfende Märkte und einer hohen Markttransparenz befürchtete das Amt auch keine Entstehung einer marktbeherrschenden Stellung. Es verwies insoweit insbesondere auf die – durch den Zusammenschluss verstärkte – Asymmetrie im Oligopol sowie den Verbleib von vier reichweitenstarken Wettbewerbern.

Das Verfahren bot zudem Anlass für die eher seltene dezidierte Prüfung unilateraler horizontaler Effekte jenseits der Marktbeherrschung. Die Bonner Behörde untersuchte zunächst, inwieweit sich Preissetzungsspielräume daraus ergeben könnten, dass eine additive Nutzung von Zeitschriften unterschiedlicher Wettbewerber notwendig ist und Kunden auf das Werbeinventar bestimmter Verlage nicht oder nur schwer verzichten können. Im Ergebnis ergab die Marktbefragung jedoch, dass die verbleibenden Wettbewerber hinreichende Ausweichalternativen bieten und auch vom Substitutionswettbewerb eine disziplinierende Wirkung ausgeht. Eine weitere in diesem Zusammenhang untersuchte Frage war, ob der Zusammenschluss aufgrund von Rabatten („Kick Backs“) mögliche Sogwirkungen zu Gunsten der Parteien entfalten könnte, die aufgrund der spiegelbildlich zu erwartenden Verschließungseffekte bei Wettbewerbern zu Marktaustritten führen könnten. Da in der Vergangenheit Anbieter mit eher geringen Kick-Back-Vereinbarungen Marktanteile gegenüber den übrigen Verlagen gewinnen konnten und die befragten Kunden es für unwahrscheinlich hielten, dass sie einen größeren Anteil ihres Werbebudgets auf die neue Einheit verlagern würden als bisher für BCN und Funke zusammen, hatte das Amt im Ergebnis keine durchgreifenden Bedenken. Allerdings behielt es sich ausdrücklich vor, Kick-Back-Vereinbarungen nach § 1 GWB bzw. Art. 101 AEUV zu prüfen, sollte sich nach dem Zusammenschluss wider Erwarten doch ein erheblicher Sogeffekt von Kick-Back-Vereinbarungen zwischen BCN und den Mediaagenturen zeigen.

Schließlich wurde das Vorhaben einer sog. Doppelkontrolle unterzogen. Von der Anwendung des § 1 GWB war die geplante gemeinsame Vermarktung von Anzeigen als verlagswirtschaftliche Kooperation zwar nach § 30 Abs. 2b GWB ausgenommen, angesichts der Höhe der Umsätze mit Kunden aus dem EU-Ausland nahm das Amt jedoch eine Berührung des zwischenstaatlichen Handels an und brachte Art. 101 AEUV zur Anwendung. Im Ergebnis sah das BKartA in Ausübung seines Ermessens jedoch von einer Untersagung auf Grundlage des allgemeinen Kartellverbots ab, da die Parteien ihre Bereitschaft erklärt hatten, durch vertragliche Anpassungen den Bedenken des Bundeskartellamts hinsichtlich überschießender Regelungen Rechnung zu tragen.

2. Sonstige Entscheidungen in Phase II

Der Erwerb von Teilen des Molkereigeschäfts der Royal Friesland Campina durch die Unternehmensgruppe Theo Müller wurde im Februar nach einem verlängerten Hauptprüfverfahren mit Nebenbestimmungen freigegeben. Nach den Feststellungen des Amts verfügte die Müller-Gruppe mit Marken wie Müller, Weihenstephan und Sachsenmilch bereits vor dem Zusammenschluss mit über 60 % Marktanteil über eine marktbeherrschende Stellung in den separaten nationalen Märkten für Milchreis, Milchmischgetränke und Basismilchgetränke (z.B. Buttermilch). Durch die Übernahme der – wenn auch moderaten – Anteile der Marken von Friesland Campina (darunter Landliebe, Tuffi und Südmilch) wäre es zu einer Verstärkung dieser Marktbeherrschung gekommen. Das Amt betonte jedoch, dass die Zusagen nicht nur sämtliche problematischen Überschneidungen entfallen ließen, sondern sogar darüber hinausgingen. Sie umfassten die Veräußerung des gesamten Geschäftsbereichs „Tuffi“ an eine unabhängige Molkerei sowie die Erteilung von exklusiven, unwiderruflichen und unbefristeten Markenlizenzen zum Vertrieb von Milchreis und frischen Milchmischgetränken unter der Marke „Landliebe“. Entgegen der üblichen Praxis des Amts wurden die Zusagen als auflösende Bedingung ausgestaltet. Im Gegenzug verzichteten die Beteiligten auf die Einlegung von Rechtsbehelfen. Es erscheint allerdings zweifelhaft, dass diese Ausnahme Schule machen wird.

Ende Juni gab das BKartA nach gut viermonatiger Prüfung trotz wettbewerblicher Bedenken den Erwerb von Meranus durch die spanische Fluidra frei. Untersucht hatte es zuvor den Großhandelsmarkt für private Schwimmbadausrüstung sowie den Hersteller- und Vertriebsmarkt für Reinigungsroboter für private Schwimmbäder. Während auf Ersterem aufgrund der moderaten gemeinsamen Marktanteile keine Bedenken bestanden, befürchtete das Amt hinsichtlich der Reinigungsroboter eine Verstärkung des wettbewerbslosen Duopols zwischen Fluidra und Maytronics. Da insoweit jedoch lediglich ein Bagatellmarkt i.S.d. § 36 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 GWB vorlag, sah sich die Bonner Behörde an einer Untersagung gehindert. Inwieweit das Amt versucht hat, beide Märkte zu bündeln, um einem Eingreifen der Bagatellmarktklausel zu entgehen, ergibt sich aus der diesbezüglichen Verlautbarung leider nicht.

Noch zügiger, nämlich in etwas weniger als vier Monaten, erfolgte die Freigabe des Kontrollerwerbs über die va-Q-tec AG durch den PE-Fund EQT. Die Zielgesellschaft bietet ebenso wie der bereits von EQT kontrollierte Wettbewerber Envirotainer temperaturkontrollierte Container an, die hauptsächlich für den Lufttransport von Biopharmaprodukten verwendet werden. Trotz eines zusammenschlussbedingten Ausbaus der starken Marktstellung von Envirotainer hielt das BKartA eine Untersagung nicht für angezeigt. Zur Begründung verwies es darauf, dass es sich um einen von Innovationen geprägten, wachsenden Markt handele, der in der Vergangenheit erfolgreiche Marktzutritte verzeichnet habe.

Außerdem befänden sich auf der Markgegenseite teils verhandlungsstarke Nachfrager in Form der großen Pharma- und Logistikunternehmen.

3. Entscheidungen in Phase I

Ende Juni hat das Amt mit der Übernahme von Galileo durch Dr. Oetker eine weitere Konsolidierung der Lebensmittelbranche geduldet. Nach umfangreichen Ermittlungen im Vorprüfverfahren war das BKartA zu der Feststellung gelangt, dass der Markt für Tiefkühlpizzaprodukte bereits vor dem Zusammenschluss stark konzentriert und im Wesentlichen vom Marktführer Dr. Oetker und der Nestlé-Wagner-Gruppe geprägt war. Gemeinsam mit Galileo, einem bedeutenden Hersteller von Tiefkühlpizza für Handelsmarken, erreichte Dr. Oetker Marktanteile an der Grenze der Vermutungsschwelle für eine marktbeherrschende Stellung; die Oligopolvermutung von 60 % war durch die beiden führenden Anbieter ebenfalls erfüllt. Im Ergebnis hatte die Behörde jedoch keine durchgreifenden Bedenken. Die Marktanteilszuwächse seien gering und den Abnehmern stünden hinreichende Ausweichalternativen zur Verfügung. Zudem handele es sich um einen dynamischen Markt, wie der Markteintritt von Gustavo Gusto belege. Schließlich begrenzten die Nachfragemacht des Lebensmitteleinzelhandels (LEH) sowie das verbreitete Aktionsgeschäft die Preissetzungsspielräume der Hersteller. Insbesondere das letzte Argument wirft die Frage auf, ob das Amt nicht zu einem gewissen Zirkelschluss tendiert, wenn es wechselseitig auf die gegengewichtige Marktmacht von LEH und Herstellern verweist, während die Konsolidierung auf beiden Marktstufen voranschreitet.

Im Fall Holcim/TER war im relevanten Regionalmarkt für Transportbeton ebenfalls die Vermutung für ein marktbeherrschendes Duopol erfüllt, obgleich der gemeinsame Marktanteil der Zusammenschlussbeteiligten trotz eines erheblichen Zuwachses unter 40 % blieb. In seiner Entscheidung aus dem Mai 2023 sah das BKartA die Oligopolvermutung jedoch als widerlegt an. Es begründete die Freigabe mit dem tatsächlichen Wettbewerbsgeschehen, welches Marktanteilsveränderungen sowie unterschiedliche Durchschnittspreise aufwies. Überdies prognostizierte die 1. Beschlussabteilung, dass der bereits begonnene Konjunktureinbruch und der erwartete Rückgang der Nachfrage den Preiswettbewerb in Zukunft weiter intensivieren werde.

III. Missbrauchsverbot

1. Energiepreisbremse/Missbrauch ohne Marktbeherrschung

Im Rahmen der energiespezifischen Missbrauchsaufsicht hat das BKartA auf Basis der Energiepreisbremsen-Gesetze im Berichtszeitraum Prüfverfahren in den Bereichen Erdgas, Wärme und Strom eingeleitet. Die Ende 2022 in Kraft getretenen Regelungen sehen eine Missbrauchsaufsicht ohne die kartellrechtliche Schwelle einer marktbeherrschenden Stellung vor und verbieten insbesondere eine missbräuchliche Ausnutzung der Entlastungsregeln. Die eingeleiteten Verfahren betreffen Energieversorger, die Vorauszahlungen nach den Preisbremsen-Gesetzen beantragt hatten. Entsprechend seines gesetzlichen Prüfauftrags kontrolliert das Amt, ob die Energieversorger zu hohe staatliche Ausgleichzahlung erlangt haben, indem sie ihre Endkundenpreise für Gas, Wärme oder Strom ohne sachliche Rechtfertigung (etwa durch gestiegene Kosten) erhöhten.

2. Deutsche Bahn vs. Mobilitätsplattformen

Das BKartA hat mit Entscheidung vom 26. Juni 2023 festgestellt, dass verschiedene Verhaltensweisen und Vertragsklauseln der Deutschen Bahn („DB“) gegenüber Mobilitätsplattformen einen Missbrauch ihrer Marktmacht darstellen. Nachdem der mehr als drei Jahre andauernde Versuch einer einvernehmlichen Verfahrensbeendigung gescheitert war, sah sich die Bonner Behörde dazu gezwungen, der DB per Anordnung ein verhaltenssteuerndes Maßnahmenpaket aufzuerlegen. Dieses sieht neben dem Verbot, kartellrechtswidrige Werbe- und Rabattverbote vertraglich durchzusetzen, auch die Verpflichtung der DB zur Zahlung eines Leistungsentgelts für die Buchungs- und Zahlungsabwicklung von DB-Tickets durch Mobilitätsdienstleister sowie die diskriminierungsfreie Bereitstellung von Prognosedaten wie Verspätungen oder Ausfälle vor. Beachtenswert ist, dass das Amt mit Blick auf die Prognosedaten über die seit dem 7. Juni 2023 geltende EU-Fahrgastrechte-Verordnung hinausgeht und unter anderem auch Vorgaben zur technischen Ausgestaltung des Datenzugangs macht. Die Verfügung des BKartA soll insgesamt verhindern, dass die DB ihre ohnehin schon marktbeherrschende Stellung – der Marktanteil im Schienenpersonenfernverkehr beträgt 90 Prozent – durch die Bevorzugung der eigenen Portale „bahn.de“ und „DB Navigator“ weiter ausbaut. Gleichzeitig ist die Stärkung des Wettbewerbs um smarte Mobilitätsdienstleistungen (z. B. die Kombination verschiedener Fortbewegungsmittel in einem Buchungsvorgang) beabsichtigt. Ob die DB innerhalb der Monatsfrist eine Beschwerde gegen die Entscheidung beim OLG Düsseldorf einlegen wird, war bei Redaktionsschluss noch offen.

3. Neues zu § 19a GWB

Nachdem das BKartA die überragende marktübergreifende Stellung von Alphabet und ihrer Tochtergesellschaft Google im Dezember 2021 festgestellt hatte, ergingen gegenüber Google im Berichtszeitraum gleich mehrere Entscheidungen im Sinne des § 19a GWB. In einer ausdrücklich als Zwischenschritt formulierten Abmahnung vom 23. Dezember 2022 (veröffentlicht im Januar) hat das BKartA seine vorläufige rechtliche Einschätzung mitgeteilt, dass diverse Datenverarbeitungskonditionen anzupassen seien. Als problematisch wird insbesondere angesehen, dass Google die Daten der Dienste wie z.B. Google Suche, YouTube und Google Maps dienstübergreifend verarbeiten kann und den Nutzern hierbei keine hinreichende Wahlmöglichkeit eingeräumt wird, ob und inwieweit sie sich hiermit einverstanden erklären. Daher erwägt das BKartA, Google in Anwendung des § 19a GWB eine Neugestaltung der angebotenen Wahlmöglichkeiten aufzuerlegen.

Im Mai legte das Amt den Abschlussbericht seiner Sektoruntersuchung im Bereich der nicht-suchgebundenen Online-Werbung vor. In dem Bericht wird insbesondere das sog. Programmatic Advertising beleuchtet, welches den komplexen automatisierten Handel mit Werbeflächen auf Grundlage von Nutzerdaten beschreibt. Das BKartA stellte insofern eine unzureichende Transparenz für Marktteilnehmer und Nutzer fest. Weiter wird betont, dass Alphabet eine herausragende Stellung auf allen Stufen der Wertschöpfungskette im Bereich Werbung zukommt. Es bleibt abzuwarten, welche konkreten praktischen Konsequenzen das Amt aus den Ergebnissen der Sektoruntersuchung ziehen wird. Ende Juni 2023 hat das BKartA zusätzlich eine Abmahnung gegen Alphabet/Google in Sachen Google Automotive Services und Google Maps ausgesprochen. Ein Jahr nach Verfahrenseinleitung kam es zu dem vorläufigen Ergebnis, dass die Lizensierung von Diensten für Infotainmentsysteme in Fahrzeugen mit § 19a GWB unvereinbar und daher eine Untersagung zu erwägen sei. Die gerügten Google Automotive Services betreffen ein Paket bestehend aus Google Maps, Google Play und dem Sprachassistenten Google Assistant, welches den Fahrzeugherstellern nur als Bündel angeboten wird und zudem Vorgaben für die Priorisierung dieser Dienste im jeweiligen Infotainmentsystem enthält und zudem die Interoperabilität mit Diensten Dritter erschwert.

Auch andere Verfahren nach § 19a GWB treibt das BKartA mit Hochdruck voran. Im April stellte die Behörde eine überragende marktübergreifende Stellung von Apple fest. Die Anwendung der erweiterten Missbrauchsaufsicht wurde mit dem Betreiben eines weltweiten digitalen Ökosystems und der Einnahme einer Schlüsselposition für den Wettbewerb begründet. Diese Entscheidung war – nachdem im Juni 2022 bereits parallel ein Verfahren gegen Apple zur Untersuchung der Tracking-Regelungen auf Grundlage des § 19a GWB eingeleitet wurde – konsequent. Nachdem bereits Amazon Beschwerde beim Bundesgerichtshof eingelegt hatte und Ende Juni der erste Verhandlungstermin stattfand, hat auch Apple den Rechtsweg beschritten. Mit einer gerichtlichen Entscheidung ist angesichts der „gewaltigen Komplexität“, mit der der Vorsitzende Richter des Kartellsenats beim BGH die Fallkonstellation beschreibt, jedoch in naher Zukunft nicht zu rechnen.

Dagegen befindet sich das Verfahren gegen Microsoft erst am Anfang. Das Amt hatte im März verkündet, die Anwendbarkeit des § 19a GWB auch auf dieses Unternehmen zu prüfen. Anhaltspunkte für das Vorliegen einer überragenden marktübergreifenden Stellung sieht Präsident Mundt in den sehr starken Marktpositionen bei Betriebssystemen, Büro-Software, den Cloud-Diensten Azure und OneDrive, Teams und Karrierenetzwerken wie LinkedIn.

4. Verfahren gegen PayPal

Im Januar hat das BKartA veröffentlicht, dass ein Verfahren gegen PayPal wegen einer im Raum stehenden Behinderung von Wettbewerbern und Beschränkung des Preiswettbewerbs eingeleitet wurde. Im Kern geht es um Nutzungsbedingungen des Unternehmens. Diese sehen insbesondere vor, dass Verkäufer ihre Waren nicht zu niedrigeren Preisen anbieten dürfen, wenn die Kunden eine günstigere Zahlungsmethode wählen. Sie verbieten zudem die (sichtbare) Bevorzugung anderer Zahlungsmethoden seitens des Vertragspartners von PayPal. Angesichts dessen, dass PayPal einer der höherpreisigen Zahlungsanbieter ist und die entsprechenden Gebühren in der Regel ohne separate Ausweisung auf den Warenpreis umgelegt werden, könnten die Bedingungen im Ergebnis vor allem den Verbrauchern schaden.

5. Verzögerter Markteintritt von 1&1

Das BKartA hat Anfang Juni angekündigt, einer Beschwerde von 1&1 gegen Vodafone und Vantage Towers (einem verbundenen Unternehmen Vodafones) nachzugehen. Vorgebracht wird, dass die beiden Unternehmen ihre Marktmacht ausgenutzt hätten, um 1&1 bei der Mitnutzungsmöglichkeit von Funkturmmasten zu behindern. Im Dezember 2021 hatte 1&1 mit Vantage Towers (dem Vertreiber und Verwalter der Vodafone gehörenden Mobilfunkstandorte) vertraglich eine Mitnutzung vereinbart. Die tatsächliche Zurverfügungstellung ist jedoch weithin mit erheblichen Verzögerungen verbunden. Dadurch ist es 1&1 nicht möglich, eigene Mobilfunkdienstleistungen ausreichend belastbar anzubieten und seine Stellung als vierter deutscher Mobilfunkanbieter neben der Telekom, Vodafone und o2 zu etablieren. Das Amt wird nunmehr prüfen, ob hinreichende Gründe für die Verzögerung vorliegen.

IV. Kartellverbot

1. Bußgeldentscheidung im Straßenbau

Im Februar hat das BKartA im Rahmen eines Fallberichts Bußgeldentscheidungen im Gesamtvolumen von einer Mio. Euro gegen vier Dortmunder Bauunternehmen bekannt gemacht. Die Entscheidungen ergingen bereits Ende 2022 aufgrund von Absprachen bei Ausschreibungen von Straßenbauarbeiten. Während in Anwendung der Kronzeugenregelung das Bußgeld gegen ein fünftes Unternehmen vollständig erlassen wurde, fiel die Höhe der ausgesprochenen Geldbußen auch aufgrund der vollumfänglichen Kooperation und umfassender Settlements vergleichsweise niedrig aus. Die betroffenen Bauunternehmen kamen jeweils im Anschluss an Ausschreibungen der Stadt Dortmund zu persönlichen Treffen zusammen, die aufgrund der Reisefreude eines der Kartellanten unter dem Decknamen „Treffen in Afrika“ verabredet wurden. Bei diesen Treffen wurde jeweils beschlossen, welches Unternehmen das günstigste Angebot abgeben sollte.

Die Entscheidung zeigt, dass auch vergleichsweise kleine Unternehmen sich nicht darauf verlassen können, dauerhaft unter dem Radar des Bundeskartellamts zu bleiben. Zudem wird die Entwicklung der letzten Jahre bestätigt, dass Bußgeldentscheidungen insgesamt einen rückläufigen Trend aufweisen. Nach Gesamtbußgeldhöhen von 358 Mio. Euro im Jahr 2020 und 24 Mio. Euro im Jahr 2022 (siehe Newsletter 2/2022) steuert das Bundeskartellamt zur Jahreshalbzeit auf ein neues Rekordtief zu. Präsident Mundt wird gleichwohl nicht müde zu betonen, dass die Zahl der Durchsuchungen nach der Pandemie stetig ansteige und das erste Halbjahr 2023 „vielversprechend“ verlaufen sei.

2. Entscheidungen im Bierkartell

Nachdem der 4. Kartellsenat des OLG Düsseldorf die drei Kölsch-Brauereien Früh und Gaffel sowie unsere Mandantin Erzquell im September 2021 vom Vorwurf illegaler Preisabsprachen freigesprochen hatte, hat nun der BGH mit Beschluss vom 21. Dezember 2022 abschließend bestätigt, dass die Freisprüche keine durchgreifenden Rechtsfehler aufweisen.

Vor dem OLG Düsseldorf hatten sich entgegen der Bußgeldentscheidung des Bundeskartellamts aus dem Jahr 2014 nach 35 Verhandlungstagen und umfassenden Zeugenvernehmungen keine Anhaltspunkte für einen kartellrechtsrelevanten Informationsaustausch ergeben. Die damalige Entscheidung wurde nicht umsonst als Sensation bezeichnet, da sich Freisprüche erster Klasse im Anschluss an ein Bußgeldverfahren des Amts als Novum darstellten. Der BGH hat dies nun endgültig manifestiert.

Dagegen hat der 6. Kartellsenat des OLG Düsseldorf im Kartellbußgeldverfahren gegen Carlsberg mehr als neun Jahre nach der urprünglichen Bußgeldentscheidung des BKartA aus dem Mai 2014im Mai eine Geldbuße in Höhe von 50 Mio. Euro verhängt. Nachdem der 4. Kartellsenat des OLG Düsseldorf das Verfahren im Frühjahr 2019 noch wegen Verjährung eingestellt hatte, der BGH jedoch die Verjährungsvoraussetzungen in einem Aufhebungsbeschluss vom 13. Juli 2020 als nicht gegeben ansah, wurde die Sache an das OLG Düsseldorf zurückverwiesen. Die zunächst im November 2022 begonnene Hauptverhandlung musste dann aufgrund der längerfristigen Erkrankung eines Senatsmitglieds abgebrochen werden und kam nun nach 21 Hauptverhandlungstagen im Mai 2023 zum Abschluss.

Während das OLG die Dauer des Verfahrens und den nur einmaligen Verstoß mildernd berücksichtigte, fiel die bundesweite, flächendeckende Wirkung der Absprache negativ ins Gewicht. Im Ergebnis verringerte sich die Geldbuße gegen Carlsberg dennoch um rund EUR 12 Mio.

3. Kartellrecht und Sport

Sportrechtliche Fragestellungen beschäftigen nicht nur die Gerichte der EU (etwa in den Entscheidungen Meca-Medina und International Skating Union (ISU) oder der noch ausstehenden Entscheidung in der Sache European Super League), sondern halten auch vermehrt Einzug in die nationale kartellrechtliche Entscheidungspraxis.

Das LG Dortmund hat sich in diesem Zusammenhang im Mai in einem Urteil im einstweiligen Verfügungsverfahren mit den FIFA-Fußball-Spielervermittler-Reglements beschäftigt und diese als Hardcore-Kartell in Form eines Preis- bzw. Einkaufskartells eingestuft. Die FIFA hatte im Dezember 2022 die FIFA Football Agent Regulation (FFAR), ein weltweites Regelwerk für die Zusammenarbeit mit Spielervermittlern, beschlossen. Die FFAR sollen für nationale Sachverhalte im Oktober 2023 in Kraft treten. Die Verfügungskläger machten geltend, dass die Regelungen, die unter anderem eine allgemeine Lizensierungspflicht und die Unterwerfung unter Verbandsstatuten vorsehen, kartellrechtswidrig sind. Zu diesem Ergebnis kam auch die 8. Zivilkammer des LG Dortmund und untersagte die Anwendung, Um- und Durchsetzung des FFAR. Die Regelungen fielen nicht unter die Tatbestandsrestriktion nach den Grundsätzen des Drei-Stufen-Modells der Meca-Medina-Rechtsprechung des EuGH, da es sich bei der FFAR schon nicht um ein sportliches Regelwerk handele. Zudem sei auch eine Freistellung im Sinne des Art. 101 Abs. 3 AEUV mangels überwiegender positiver Wettbewerbswirkungen nicht anzunehmen. Auch die Verbandsautonomie rechtfertige kein anderes Ergebnis.Diesem Urteil steht ein – für staatliche und zwischenstaatliche Gerichte nicht verbindliches – Schiedsurteil des internationalen Sportgerichtshofs CAS vom 24. Juli 2023 hingegen diametral entgegen.

Eine abschließende Entscheidung der Frage wird erst ein nunmehr vom LG Mainz Ende März 2023 eingeleitetes Vorabentscheidungsverfahren des EuGH bringen. Das LG Mainz begründete die Vorlage damit, dass eine Befriedigung des Rechtsstreits hinsichtlich der weltweiten Geltungsreichweite der FFAR deutlich effektiver durch den EuGH hergestellt werden kann. Das OLG Koblenz hatte hier den Erlass einer einstweiligen Anordnung mangels gesteigerter Eilbedürftigkeit noch abgelehnt.

Die Sonderstellung des Sports und insbesondere des Fußballs wird trotz umfassender Anwendung des Kartellrechts nicht zuletzt im Umgang des Bundeskartellamts mit der 50+1-Regel der Deutschen Fußball Liga (DFL) deutlich. Nachdem bereits 2021 kartellrechtliche Bedenken hinsichtlich der einheitlichen Anwendung und Durchsetzung dieser Regelung angemeldet wurden, folgten unter dem Schutzschirm der übergeordneten sportpolitischen Ziele keine Konsequenzen. Die Verpflichtungszusage der DFL vom 8. März 2023, wonach die kritisch gesehenen Förderausnahmen für einzelne Vereine für die Zukunft gestrichen werden, ist nun nach Ansicht des Bundeskartellamtspräsidenten Andreas Mundt möglicherweise bereits hinreichend geeignet, die kartellrechtlichen Bedenken abschließend auszuräumen.

4. Nachhaltigkeitsinitiativen

Im Berichtszeitraum setzte sich das BKartA auch wieder mit Nachhaltigkeitskooperationen auseinander. Im Mai wurde publik, dass die Initiative Tierwohl nach Bedenken des Amts das bislang geltende Tierwohlentgelt ab dem Jahr 2024 abschafft. Bei diesem Entgelt handelt es sich um einen verpflichtenden Preisaufschlag für die Abnehmer der teilnehmenden Erzeugerbetriebe. Das Amt begrüßt die Ersetzung dieses verbindlichen Entgelts durch eine unverbindliche Finanzierungsempfehlung. Präsident Mundt betonte dabei die Möglichkeit, an der Schnittstelle von Nachhaltigkeit und Wettbewerb eine interessengerechte Lösung für die Finanzierung von Mehrkosten zu finden. Die Initiative Tierwohl, die sich für die Verbesserung der Haltungsbedingungen einsetzt und insbesondere von den LEH-Unternehmen Edeka, Rewe, Aldi und der Schwarz-Gruppe finanziert wird, sei der Einführungsphase mittlerweile entwachsen und nun etabliert genug, um ein wettbewerbliches Finanzierungsmodell zu wählen.

Im Gegensatz dazu hat das BKartA im Juni 2023 verlautbart, dass es in der Sache Forum Nachhaltiger Kakao keine Veranlassung für eine vertiefte Überprüfung sieht. Diese Nachhaltigkeitsinitiative dient hauptsächlich der Förderung existenzsichernder Einkommen in den Produktionsländern Ghana und Elfenbeinküste und sieht vor, dass die Mitglieder des Forums freiwillige Selbstverpflichtungen abschließen, um bessere Preise für die Erzeugerseite sicherzustellen. Diese Freiwilligkeit, das Fehlen einheitlicher Preisaufschläge und der Verzicht auf Sanktionsmechanismen waren dabei maßgeblich für das Nichteinschreiten der Bonner Behörde.

V. Kartellschadensersatz

Im Bereich des Kartellschadensersatzrechts ergingen im ersten Halbjahr 2023 eine Reihe von Urteilen, die vor allem auf Klägerseite wohlwollend zur Kenntnis genommen werden dürften. So kam es vermehrt zur Verurteilung zur Zahlung konkreter Schadenssummen, erstmals auch im LKW-Komplex. Außerdem hat der BGH die Schwelle für die Durchsetzung von Auskunftsansprüchen merklich abgesenkt.

1. BGH zum Anspruch auf Herausgabe von Beweismitteln

Im April hatte der BGH im Rahmen einer Klage eines privaten Eisenbahnbetreibers gegen Tochtergesellschaften der Deutschen Bahn die Gelegenheit, sich ausführlich mit den Voraussetzungen der in §§ 33g, 89b GWB geregelten Auskunfts- und Herausgabeansprüche auseinanderzusetzen. Die mit der 9. GWB-Novelle im Zuge der Umsetzung der EU-Kartellschadensersatzrichtlinie eingeführten Ansprüche sollen es potentiell kartellgeschädigten Klägern erlauben, Informationen und Beweismittel von den Verletzern heraus zu verlangen, um ihre Schadensersatzforderungen zu begründen.

§ 33g GWB erfordert unter anderem, dass der Anspruchsteller glaubhaft macht, einen Kartellschadensersatzanspruch zu haben. Im allgemeinen Zivilrecht ist für die Glaubhaftmachung eines Anspruchs (§ 294 ZPO) nach einhelliger Ansicht erforderlich, dass der geltend gemachte Anspruch mit überwiegender Wahrscheinlichkeit besteht. Der BGH hält diese Schwelle im kartellrechtlichen Kontext für zu hoch und mit den Anforderungen der Kartellschadensersatzrichtlinie für unvereinbar. Deswegen schafft der BGH einen eigenständigen Begriff der Glaubhaftmachung für kartellrechtliche Auskunftsansprüche und lässt es genügen, dass der Anspruch „schlüssig dargelegt ist und aufgrund konkreter Anhaltspunkte eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass der Kläger Inhaber eines solchen Ersatzanspruchs ist.“ In prozessualer Hinsicht stellt der BGH zudem klar, dass die Auskunfts- und Herausgabeansprüche nach §§ 33g, 89b GWB nicht im Wege der Stufenklage geltend gemacht werden können, sondern vielmehr eigenständig neben dem Schadensersatzanspruch im Wege der objektiven Klagehäufung nach § 260 ZPO.

Das Urteil dürfte potentiell kartellgeschädigte Unternehmen ermutigen und voraussichtlich zu einer weiteren Zunahme von Verfahren führen. Es bleibt aber abzuwarten, wie die Instanzgerichte das neue Kriterium der „gewissen Wahrscheinlichkeit“ eines Anspruchs in der Praxis handhaben werden. Zudem ist zu beachten, dass auch nach dem BGH-Urteil eine schlüssige Darlegung eines Schadensersatzanspruchs erforderlich ist, um die Auskunftsbegehren durchzusetzen. In der Praxis scheitern nicht wenige Klagen schon an diesem Erfordernis, etwa, weil die schadensstiftenden Erwerbsvorgänge nicht hinreichend abgegrenzt werden (siehe jüngst etwa das Urteil des LG Köln aus Februar i.Sa. Tapetenkartell).

2. Weitreichende Schadensschätzung des LG Berlin

Das LG Berlin hat in einer Reihe von Urteilen zu Klagen gegen das Schienenkartell, das LKW-Kartell und das EC-Karten-Kartell von der Möglichkeit einer eigenhändigen Schadensschätzung Gebrauch gemacht und sich gegen die Einholung ökonomischer Sachverständigengutachten ausgesprochen. Damit stellt es sich in das Lager derjenigen Instanzgerichte, die sich die erforderliche ökonomische Expertise zutrauen, auch komplexe Parteigutachten selbst zu würdigen und daraus eine konkrete Schadenssumme abzuleiten. Andere Gerichte, beispielsweise die Landgerichte Köln, München I, Nürnberg-Fürth oder Stuttgart zeigen sich demgegenüber in der Regel zurückhaltender und vertrauen auf die Expertise gerichtlich bestellter Sachverständiger.

Konkret verurteilte das LG Berlin etwa Beteiligte des Schienenkartells zur Zahlung von Schadensersatz, und stützte sich zur Schadensschätzung dem Grunde und der Höhe nach auf ein ökonomisches Parteigutachten der Klägerseite. Das LG zeigte sich von den Bedenken der Beklagtenseite an der Tauglichkeit des Gutachtens unbeeindruckt und verzichtete auf die Begutachtung durch einen gerichtlich bestellten Sachverständigen. Es genüge, dass es sich bei der vorgelegten Regressionsanalyse um eine „zumindest mögliche Annäherung an das kontrafaktische Szenario eines hypothetischen Wettbewerbspreises“ handeln soll. Die von der Beklagtenseite aufgeworfenen Zweifel bspw. an der Tauglichkeit der Datengrundlage wertete das Gericht als „Verlangen einer ‚bestmöglichen’ Regressionsanalyse für die Schadensfeststellung“, das aber aufgrund des damit verbundenen Kosten- und Zeitaufwands dazu führe, dass Kartellschadensersatzverfahren kaum noch justiziabel wären. Dieser Befund ist umso bemerkenswerter als mehrere andere Instanzgerichte in verschiedenen anhängigen Parallelverfahren dasselbe Gutachten einer sachverständigen Würdigung unterziehen lassen, ohne Zweifel an der Justiziabilität des Parteivortrags zu äußern.

Ähnlich verfuhr das LG Berlin auch in Klagen gegen das LKW-Kartell und das EC-Karten-Kartell. Damit ist es soweit ersichtlich das erste deutsche Gericht, das Teilnehmer des LKW-Kartells zur Zahlung einer konkreten Schadenssumme verurteilt hat. Die Verfahren zum EC-Karten-Kartell zeichneten sich durch die zusätzliche Besonderheit aus, dass ihnen keine typische Follow-on-Konstellation zugrunde lag. Ausgangspunkt der Verfahren war eine Entscheidung mit Verpflichtungszusagen nach § 32b GWB. Diese enthalten – anders als Bußgeldentscheidungen – keine Feststellungen eines Kartellverstoßes und können daher auch keine entsprechende Bindungswirkung im Zivilverfahren entfalten. Daher musste das Landgericht selbst darüber befinden, ob es sich bei der einheitlichen Festsetzung von Kartenentgelten durch die beklagten Unternehmen um einen Verstoß gegen § 1 GWB handelte. Das LG Berlin bejahte dies letztlich und schätzte einen Schaden anhand eines zeitlichen Vergleichsmarktansatzes auf Grundlage der vorgelegten Parteigutachten. Dennoch wies das LG Berlin einen weit überwiegenden Teil der Klageforderung im Ergebnis zurück, weil es die Ansprüche in weiten Teilen als verjährt ansah. Ähnlich wie bereits das LG Frankfurt bei der Klage der Deutschen Bahn gegen das Schienenkartell (siehe dazu Newsletter 2/2022) ging das Gericht nämlich von einer frühzeitigen Kenntnis der Klägerinnen von den rechtswidrigen Verhaltensweisen aus. Die gemeinsame (nach Ansicht des Gerichts kartellrechtswidrige) Festlegung von Kartenentgelten sei den am electronic-cash-System beteiligten Unternehmen bekannt gewesen, so dass es als maßgeblichen Zeitpunkt für den Verjährungsbeginn auch nicht mehr darauf ankomme, dass die Verstöße noch nicht beendet waren.

3. Unterschiedliche Bewertung des Zuckerkartells

Anders als das LG Berlin führte das LG Mannheim bei der Beurteilung von Schadensersatzklagen gegen das Zuckerkartell eine umfassende und besonders zeitaufwändige Beweisaufnahme unter Einholung eines gerichtlich bestellten Sachverständigengutachtens und ausführlicher Befragung der Sachverständigen durch. Es kam auf dieser Grundlage zu dem Ergebnis, dass den klagenden Abnehmern ein kartellbedingter Schaden entstanden war. Im Zentrum der ökonomischen Diskussion stand insbesondere das Argument der Kartellanten, dass sich unter anderem wegen der staatlichen Zuckermarktregulierung auch ohne die kartellbehördlich beanstandeten Verhaltensweisen kein echter Wettbewerbspreis eingestellt hätte. Das LG Mannheim setzte sich mit diesem Argument auseinander und kam dennoch zu dem Ergebnis, dass ein Restwettbewerb mit ausreichenden Preissetzungsspielräumen verblieb, der im kontrafaktischen Szenario niedrigere Preise zugelassen hätte.

Anders sah dies das LG Dortmund. Es wies eine ähnlich gelagerte Klage unter Verweis auf die Zuckermarktregulierung sowie Besonderheiten in der Marktstruktur ab. Neben dem Schienenkartell ist also auch das Zuckerkartell ein Beispiel dafür, wie unterschiedlich die Instanzgerichte scheinbar gleich gelagerte Konstellationen beurteilen. Schadensersatzkläger werden daher voraussichtlich in Zukunft noch genauer darauf achten, an welchen Gerichten sie ihre Klagen geltend machen. Das geltende Prozessrecht ermöglicht in Kartellschadensersatzklagen in der Regel eine Vielzahl von Gerichtsständen.

4. Abtretungsmodelle Gegenstand einer Vorlage an den EuGH

Auch im ersten Halbjahr 2023 war die Frage der Zulässigkeit von Abtretungsmodellen im kartellrechtlichen Kontext weiter Gegenstand der gerichtlichen Entscheidungspraxis. Wie bereits im Newsletter 2/2022 berichtet, hatten insbesondere im Zusammenhang mit dem Rundholzkartell mehrere Gerichte die Zulässigkeit derartiger Modelle zur gebündelten Geltendmachung von Kartellschadensersatzansprüchen verneint. In eben diesem Verfahrenskomplex hat nun das LG Dortmund dem EuGH sinngemäß die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob das Unionsrecht und das darin verankerte Gebot der effektiven Durchsetzung des Kartellrechts die Zulässigkeit derartiger Modell gebietet, wenn andere Möglichkeiten der Rechtsdurchsetzung prozessual nicht praktikabel oder wirtschaftlich objektiv nicht zumutbar sind. Bejahendenfalls wären in der Konsequenz die entsprechenden Vorschriften des RDG, an deren derzeitiger Auslegung viele Klagen gescheitert sind, entweder unionsrechtskonform auszulegen oder müssten unangewendet bleiben.

Die Antwort aus Luxemburg wird mit Spannung erwartet. Sie wird für die Zukunft von Kartellschadensersatzklagen in Deutschland eine große Bedeutung weit über das Rundholzkartell hinaus haben.

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