Kartellrecht

Wichtige Entwicklungen im deutschen Kartellrecht im 1. Halbjahr 2024

Der Berichtszeitraum war nicht zuletzt vom Einsatz relativ neuer Instrumente durch das Bundeskartellamt geprägt und brachte, den aktuellen sportlichen Großereignissen angemessen, einige Entscheidungen zum Thema Sport hervor. Große Bußgelder bleiben zwar aus, Bewegung gab es jedoch im Kartellschadensersatzrecht und bei Nachhaltigkeitsvereinbarungen.

I. Fusionskontrolle

1. Gehäufte Anwendung der Transaktionswertschwelle im Pharmabereich

Im ersten Halbjahr hat das Bundeskartellamt („BKartA“) gleich vier großvolumige Pharma-Transaktionen freigegeben. Sämtliche Vorhaben wären auf Basis der deutschen Umsatzschwellen nicht anmeldepflichtig gewesen, sondern wurden allein über die Transaktionswertschwelle erfasst, da der Wert der Gegenleistung jeweils EUR 400 Mio. überstieg:

Bereits im März erteilte das BKartA im Vorprüfverfahren grünes Licht für den Erwerb sämtlicher Anteile der deutschen MorphoSys AG durch die Schweizer Novartis AG. Das Übernahmeangebot für das Biotechnologieunternehmen MorphoSys betrug ca. EUR 2,7 Mrd. Inhaltlich konzentrierte sich die Prüfung auf den Bereich der Forschung und Entwicklung von Wirkstoffen gegen eine bestimmte Form der Leukämie. Hier stand MorphoSys mit einem neuen Wirkstoff, der in Kombination mit einem bereits im Markt befindlichen Wirkstoff von Novartis eingesetzt werden soll, kurz vor der Zulassung. Durchgreifende wettbewerbliche Bedenken hatte das Amt jedoch nicht, da sich eine Vielzahl möglicher Alternativwirkstoffe in Kombinations- oder Zweitlinientherapie in der Entwicklung befinden und noch im Prognosezeitraum Wettbewerb durch Generika erwartet wurde.

Im April gab das BKartA die Übernahme der deutschen Cardior Pharmaceuticals GmbH durch die dänische Novo Nordisk A/S für einen Kaufpreis von rund EUR 1 Mrd. in der ersten Phase frei. Cardior ist ein Biotech-Unternehmen mit einem Schwerpunkt auf Herzerkrankungen. Es verfügt noch nicht über zugelassene Arzneimittel, hat jedoch einen Wirkstoff gegen Herzinsuffizienz infolge eines Herzinfarkts in der Entwicklungspipeline. Da sich die Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten von Novo Nordisk im Bereich Herzinsuffizienz an andere Patientengruppen richten und Wettbewerb durch alternative Wirkstoffe und Biosimilars bzw. Generika erwartet wird, erhob das BKartA auch hier keine Bedenken.

Im Mai gab das Amt den Erwerb sämtlicher Anteile der US-amerikanischen Shockwave Medical durch Johnson & Johnson für rund USD 13,1 Mrd. im Vorprüfverfahren frei. Zwar gab die Übernahme des innovativen Medizintechnik-Unternehmens in das Portfolio eines der weltweit größten Pharma- und Medizintechnikkonzerne als solche Anlass zu näherer Prüfung, im Ergebnis hatte das Amt jedoch keine Einwände. Shockwave Medical entwickelt Technologien zur Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und vertreibt darauf aufbauende Produkte. Das Portfolio von Johnson & Johnson umfasst zwar ebenfalls kardiovaskuläre Medizintechnik, allerdings keine Produkte, die einen vergleichbaren Zweck wie die von Shockwave erfüllen, so dass es nicht zu direkten Überschneidungen kam.

Der Erwerb des schwedischen Biotech-Unternehmens Olink Holding durch Thermo Fisher Scientific Inc. für rund EUR 2,8 Mrd. wurde im Juni erst nach Durchführung eines Hauptprüfverfahrens freigegeben. Olink bietet Analysesysteme und Dienstleistungen im Bereich der Proteomik, insbesondere der menschlichen Proteine, an und hat eine überlegene Stellung im Bereich einer eigenen Technologie für Proteinanalysen. Thermo Fisher verfügt über eine starke Stellung in einem benachbarten Technologiemarkt. Obgleich beide Technologien teilweise komplementär eingesetzt werden, ging das Amt aufgrund unterschiedlicher Kundenkreise von unterschiedlichen Märkten aus. Zudem schloß das BKartA aufgrund der technologischen Unterschiede und der divergierenden Beschaffungsvorgänge und Preise konglomerate Effekte in Form von Bündelungen aus. Schließlich begründete es die Freigabe noch mit Ausweichmöglichkeiten in den innovativen Wachstumsmärkten, welche die gemeinsame Stellung der zusammengeschlossenen Einheit angreifbar machten.

Die Entscheidungen zeigen, dass die Transaktionswertschwelle inzwischen fester Bestandteil der deutschen Entscheidungspraxis ist. Mangels direkter Überschneidungen warfen die entschiedenen Fälle jedoch – auch soweit es um die Entwicklungspipeline ging – keine durchgreifenden wettbewerblichen Probleme auf.

2. Rücknahme der Anmeldung des Erwerbs von erfal durch Hunter Douglas

Um eine drohende Untersagung zu vermeiden, hat Hunter Douglas im April nach über einjähriger Befassung des BKartA die Anmeldung des Erwerbs der erfal GmbH & Co KG zurückgenommen. Hunter Douglas ist der führende Hersteller von Systemen für innenliegenden Sonnenschutz (z.B. Plissees, Jalousien oder Rollos). erfal ist auf der nachgelagerten Marktstufe tätig und fügt diese Systeme als Konfektionär entsprechend den Endkundenwünschen individuell zusammen.

Während das Vorhaben nur zu minimalen horizontalen Überschneidungen führte, hatte das Amt Bedenken hinsichtlich der vertikalen Effekte des Zusammenschlusses. Nach den Ermittlungen des BKartA wäre eine Strategie der Abschottung von Einsatzfaktoren gegenüber anderen Konfektionären nicht nur möglich, sondern auch im wirtschaftlichen Interesse der Beteiligten gewesen. Angesichts einer nahezu monopolistischen Marktstellung von Hunter Douglas von über 90 % im Bereich der Systeme für Plissees hätten anderen Konfektionären keine hinreichenden Ausweichalternativen zur Verfügung gestanden. Gleichzeitig hätten sich für Hunter Douglas aus einer auf erfal umgelenkten Nachfrage auf dem Konfektionärsmarkt Gewinnzuwächse ergeben, die einen Anreiz zur Abschottung dargestellt hätten.

3. Marktabgrenzung im Einzelhandel mit Sport- und Outdoorprodukten

Im April hat sich das BKartA im Vorfeld der Freigabe des Erwerbs der insolventen SportScheck GmbH durch die Cisalfa Sport S.p.A. (u.a. Sport Voswinkel) erneut mit Fragen der Marktabgrenzung zwischen Online- und stationärem Handel sowie dem Sortimentsgedanken befasst, diese jedoch in gewohnter Manier offengelassen.

Dies gilt einerseits hinsichtlich des Umfangs des Sortimentsmarkts. Dieser könne entweder, einem weiten Ansatz folgend, als das gesamte Sortiment von Sport- und Outdoor-Bekleidung, -Schuhen und -Ausrüstung umfassend abgegrenzt werden. Eine engere Marktdefinition könnte demgegenüber auf jeweils getrennte Märkte für jede dieser Kategorien beschränkt sein. Auch eine grundsätzliche Entscheidung zur Abgrenzung zwischen stationärem und Online Handel blieb aus. Wie in anderen Einzelhandelsmärkten sei jedoch in der Gesamtwürdigung davon auszugehen, dass der Online-Handel jedenfalls wettbewerblichen Druck auf den stationären Handel mit Sport- und Outdoor-Produkten ausübe.

Im Ergebnis hielt das BKartA den Zusammenschluss für unbedenklich, da sowohl auf bundesweiter Ebene als auch in den betroffenen regionalen Märkten des stationären Handels eine vielfältige und lebendige Wettbewerbslandschaft mit anderen Anbietern wie beispielsweise Decathlon, JD Sports, Intersport oder Sport 2000 existiere.

4. Beitritt zu Genossenschaft als Zusammenschlusstatbestand

Das BKartA hat im Berichtszeitraum erstmals den Beitritt eines selbstständigen Einzelhändlers zum EDEKA-Verbund als fusionskontrollpflichtigen Zusammenschlussstatbestand angesehen. Bei dem im Mai freigegebenen Vorhaben handelte es sich um den Beitritt der Konsumgenossenschaft Leipzig eG zur EDEKA Nordbayern-Sachsen-Thüringen eG.

Bereits zuvor hatte das Amt den mehrstufig aufgebauten EDEKA-Verbund einschließlich der selbstständigen Einzelhändler als wirtschaftliche Einheit betrachtet, da die EDEKA-Zentrale den Mitgliedern der acht regionalen EDEKA-Genossenschaften weitgehende geschäftspolitische und strategische Vorgaben macht. Aufgrund der besonderen vertraglichen Ausgestaltung ging das Amt auch im entschiedenen Fall von einem Kontrollerwerb durch den EDEKA-Verbund aus, obgleich Beitritte zu einer Genossenschaft typischerweise keinem Zusammenschlusstatbestand unterfallen.

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