Mandanteninformation | 02.02.24
Wichtige Entwicklungen im deutschen Kartellrecht im 2. Halbjahr 2023
Neben dem Inkrafttreten der 11. GWB-Novelle waren im Berichtszeitraum eine Reihe nicht horizontaler Zusammenschlüsse sowie eine ungebremst intensive Missbrauchsaufsicht zu verzeichnen. Im zweiten Jahr in Folge verhängte das Bundeskartellamt zudem eine historisch geringe Bußgeldsumme, während die Gerichte zum Kartellschadensersatzrecht weiter interessante und teilweise widersprüchliche Entscheidungen fällen.
I. 11. GWB-Novelle
Am 7. November 2023 ist die wettbewerbspolitisch umstrittene 11. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) in Kraft getreten. Die wichtigsten Änderungen umfassen neue weitreichende Eingriffsbefugnisse des Bundeskartellamts (BKartA), Erleichterungen bei der Abschöpfung von Vorteilen aus Kartellrechtsverstößen sowie neue Ermittlungsbefugnisse im Zusammenhang mit dem Digital Markets Act.
1. Eingriffsbefugnisse nach Sektoruntersuchungen
Die 11. GWB-Novelle ermöglicht dem BKartA die Anordnung von Abhilfemaßnahmen verhaltensbezogener oder gar struktureller Art, ohne dass hierfür ein Verstoß gegen das GWB vorliegen muss. Voraussetzung für diese neuartigen und mit erheblichen Eingriffen in die wettbewerbliche Handlungsfreiheit der betoffenen Unternehmen verbundenen Maßnahmen ist die behördliche Feststellung besonderer Wettbewerbsdefizite in bestimmten Sektoren im Nachgang zu Sektoruntersuchungen.
Stellt das Amt zukünftig im Rahmen einer Sektoruntersuchung eine erhebliche und fortwährende Störung des Wettbewerbs fest, kann es die in § 32f Abs. 3 und 4 GWB genannten Abhilfemaßnahmen anordnen. Diese reichen von verhaltensbezogenen Maßnahmen wie etwa Zugangsverpflichtung zu Daten, Schnittstellen oder Netzen bzw. Vorgaben zu Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen auf den untersuchten Märkten bis hin zu strukturellen Abhilfemaßnahmen. Bei Letzteren (Entflechtungsanordnungen) kann das BKartA als ultima ratio die Veräußerung von Unternehmensvermögen oder ganzen Unternehmensteilen anordnen.
Im Vergleich zur Entwurfsfassung von 2022 (siehe Newsletter 2/2022) hat der Gesetzgeber die Eingriffsschwelle für ein Tätigwerden des BKartA erhöht. So reichte nach dem Entwurf noch die Feststellung einer „erheblichen, andauernden oder wiederholten Störung des Wettbewerbs“ aus, um ein verstoßunabhängiges Eingreifen des BKartA zu ermöglichen. Mit dem Erfordernis einer erheblichen und fortwährenden Störung des Wettbewerbs und insbesondere den ebenfalls neu hinzugefügten Klarstellungen, wann eine Wettbewerbsstörung als fortdauernd anzusehen ist, hat der Gesetzgeber auf die berechtigte Kritik an der niedrigschwelligen und unpräzisen Aufgreifschwelle der Entwurfsfassung reagiert. Nichtsdestotrotz ist damit zu rechnen, dass die Anwendung der Neuregelung Gegenstand weiterer Kontroversen auch vor den Gerichten sein wird.
2. Vorteilsabschöpfung
§ 34 GWB erlaubt es dem BKartA, im Rahmen eines kartellrechtswidrigen Verhaltens erlangte Vorteile abzuschöpfen. Bislang kam dieses Instrument jedoch nicht zum Einsatz, was nicht zuletzt an den hohen Nachweisanforderungen bei der Bestimmung des erlangten Vorteils lag (siehe Newsletter 2/2022). Eine Reihe von Erleichterungen soll der Vorteilsabschöpfung daher nun zu mehr praktischer Relevanz verhelfen.
Sie kommen in Gestalt zweier neu eingeführter (widerleglicher) Vermutungen, deren Widerlegung in der Praxis jedoch nur schwer möglich sein dürfte. Zunächst wird zukünftig stets vermutet, dass ein Kartellrechtsverstoß bei dem zuwiderhandelnden Unternehmen zu einem wirtschaftlichen Vorteil geführt hat. In einem zweiten Schritt greift zudem die Vermutung, dass dieser Vorteil 1 % der Inlandsumsätze mit dem betreffenden Produkt oder der betreffenden Dienstleistung beträgt. Diese beiden Vermutungen können allein durch den Nachweis widerlegt werden, dass im relevanten Zeitraum nicht einmal Gewinne in dieser Höhe angefallen sind. Dies dürfte lediglich im Ausnahmefall gelingen.
3. Digital Markets Act
Bis März 2024 müssen 22 bislang von der Kommission als sogenannte „Gatekeeper“ benannte Unternehmen die Vorgaben und Verbote des Digital Markets Acts (DMA) umsetzen. Hierbei handelt es sich um Unternehmen wie Microsoft, Apple oder Alphabet, die auf Basis ihrer Marktmacht den Marktzugang anderer kontrollieren können. Während die Durchsetzung des DMA grundsätzlich alleinige Aufgabe der Kommission ist, erlaubt er den nationalen Wettbewerbsbehörden die Untersuchung der Einhaltung seiner Vorschriften in den jeweiligen Mitgliedsstaaten. Zur nationalen Umsetzung dieser Möglichkeit überträgt die 11. GWB-Novelle dem BKartA die Befugnis, zur Unterstützung der Kommission Ermittlungen in Deutschland durchzuführen.
Zur flankierenden privaten Rechtsdurchsetzung gibt die 11. GWB-Novelle darüber hinaus Betroffenen einen Beseitigungs- bzw. Unterlassungsanspruch bei Verstößen gegen die Art. 5, 6 und 7 DMA.
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Kartell- und Wettbewerbsrecht