Mandanteninformation | 02.04.25
Englischsprachige Wirtschaftsprozesse in Deutschland: Commercial-Courts-Gesetz tritt in Kraft
Mit dem Justizstandort-Stärkungsgesetz werden auf Handelsverfahren spezialisierte Commercial Courts mit Gerichtsverfahren in englischer Sprache eingeführt. Der Justiz- und Wirtschaftsstandort Deutschland wird dadurch für internationale Wirtschaftsstreitigkeiten noch attraktiver.
Am 01. April 2025 ist das „Gesetz zur Stärkung des Justizstandortes Deutschland durch Einführung von Commercial Courts und der Gerichtssprache Englisch in der Zivilgerichtsbarkeit (Justizstandort-Stärkungsgesetz)“ in Kraft getreten. Das Gesetz soll den Justiz- und Wirtschaftsstandort Deutschland für internationale Wirtschaftsstreitigkeiten stärken und im Wettbewerb mit ausländischen Gerichten und der Schiedsgerichtsbarkeit attraktiver machen.
Zielsetzung des Gesetzes: Stärkung des Justiz- und Wirtschaftsstandortes Deutschland
Schon seit Jahren wird von unterschiedlichen Seiten ein Attraktivitätsverlust der deutschen Justiz im Wettbewerb mit ausländischen Gerichten und der Schiedsgerichtsbarkeit beklagt. Mit dem am 01. April 2025 in Kraft getretenen „Gesetz zur Stärkung des Justizstandortes Deutschland durch Einführung von Commercial Courts und der Gerichtssprache Englisch in der Zivilgerichtsbarkeit (Justizstandort-Stärkungsgesetz)“ will der Gesetzgeber dem entgegenwirken. Das Gesetz soll den Justiz- und Wirtschaftsstandort Deutschland durch neue Verfahrensregeln und institutionelle Maßnahmen stärken, die eine schnelle und effiziente Beilegung internationaler (großvolumiger) Wirtschaftsstreitigkeiten gewährleisten sollen.
Zentrale Neuerungen des Gesetzes sind die Ermächtigung der Länder zur Errichtung spezialisierter Spruchkörper (sog. Commercial Chambers und Commercial Courts), die Schaffung eines in weiten Teilen englischsprachigen Instanzenzuges sowie die Schaffung neuer Regelungen zum verbesserten Schutz von Geschäftsgeheimnissen im Zivilprozess. Damit tritt nun immerhin eine schon lange diskutierte Reform der staatlichen Gerichtsbarkeit in Kraft, nachdem die ebenfalls seit langem angestrebte Reform des Schiedsverfahrensrechts im Februar 2025 an der verkürzten Legislaturperiode gescheitert ist.
Commercial Courts an den Oberlandesgerichten
Den Grundstrukturen der deutschen Justiz folgend ermächtigt das Justizstandort-Stärkungsgesetz die Länder, auf OLG-Ebene erstinstanzliche Spezialsenate für große zivilrechtliche Streitigkeiten einzurichten (sog. Commercial Courts). Das Überspringen der landgerichtlichen Ebene wird damit begründet, dass die Richter an den Oberlandesgerichten über größere Erfahrung und Spezialkenntnisse in der Sache verfügen, die personelle Fluktuation in den Senaten geringer ist und damit eine stärkere Konzentration auf das einzelne Verfahren möglich ist. Auf Ebene der Landgerichte sind für kleinere Streitigkeiten entsprechende Kammern (sog. Commercial Chambers) vorzusehen, die in den sachlichen Zuständigkeitsbereich des Commercial Court fallen, aber einen Streitwert von 500.000 Euro nicht übersteigen.
Wenn die Parteien dies vereinbaren, sind die Commercial Courts ab einem Streitwert von 500.000 Euro im ersten Rechtszug sachlich zuständig für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Unternehmern (mit Ausnahme von Rechtsstreitigkeiten auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes, des Urheberrechts und über Ansprüche nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb), für Streitigkeiten aus oder im Zusammenhang mit dem Erwerb eines Unternehmens oder von Anteilen an einem Unternehmen (post-M&A-Streitigkeiten) sowie für Streitigkeiten zwischen einer Gesellschaft und Mitgliedern des Leitungsorgans oder Aufsichtsrats. Eine Zuständigkeit für die praxisrelevanten Beschlussmängelstreitigkeiten ist indes nicht möglich.
Die Vereinbarung der Parteien über die erstinstanzliche Zuständigkeit des Commercial Court kann ausdrücklich oder stillschweigend ohne Einhaltung einer bestimmten Form getroffen werden. Die Praxis hat bereits entsprechende Klauselvorschläge entworfen, insbesondere die sog. Mannheimer Musterklausel (Reichert/Groh, ZIP 2024, 2317). Fehlt es an einer vorgerichtlichen Vereinbarung, so wird die Zuständigkeit des Commercial Court auch begründet, wenn der Kläger dies in der Klageschrift beantragt hat und der Beklagte sich in der Klageerwiderung rügelos darauf einlässt.
Die Länder haben die Möglichkeit, die sachliche Zuständigkeit des Commercial Courts auf bestimmte Sachgebiete zu beschränken oder auf Sachgebiete zu erweitern. Im Hinblick auf die örtliche Zuständigkeit können die Landesregierungen die Zuständigkeit der Commercial Courts über das Gebiet des Oberlandesgerichts hinaus bestimmen, wenn in dem Land mehrere Oberlandesgerichte errichtet sind. Darüber hinaus können die Länder untereinander vereinbaren, einen gemeinsamen Commercial Court an einem Oberlandesgericht einzurichten, wobei bisher noch keine Bestrebungen in diese Richtung erkennbar sind.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung geht von mindestens fünf Commercial Courts aus. Nach der bisherigen Diskussion unter den Ländern ist zu erwarten, dass die Länder Bayern, Baden-Württemberg, Hamburg, Hessen und Nordrhein-Westfalen jeweils einen Commercial Court bei einem ihrer Oberlandesgerichte oder bei ihrem Obersten Landesgericht einrichten werden. Dem Vernehmen nach plant auch das Kammergericht in Berlin die Einrichtung eines Commercial Court. Das Land Nordrhein-Westfalen hat die Einrichtung eines Commercial Courts bereits durch eine entsprechende Verordnung vorbereitet, so dass bereits im April 2025 beim Oberlandesgericht Düsseldorf ein Spezialsenat eingerichtet werden kann.
Englisch als Verfahrenssprache
Bisher war das deutsche Zivilverfahren nur unzureichend auf die Verbreitung der englischen Sprache im Wirtschaftsleben und die Ausrichtung von Verträgen auf angelsächsische rechtliche Konzepte eingestellt. Lediglich in Ausnahmefällen war es möglich, die mündliche Verhandlung auf Englisch durchzuführen oder englischsprachige Urkunden vorzulegen. Bereits mit dem (vorläufig) zurückgestellten Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schiedsverfahrensrechts sollte diesem Befund dadurch Rechnung getragen werden, dass in Verfahren vor staatlichen Gerichten, die im Zusammenhang mit Schiedsverfahren stehen, die Möglichkeit geschaffen werden sollte, Schriftstücke in englischer Sprache vorzulegen.
Bei den Commercial Courts und Commercial Chambers wird das Verfahren allerdings nicht immer in englischer Sprache geführt, sondern nur dann, wenn die Parteien dies ausdrücklich oder stillschweigend vereinbart haben oder der Beklagte sich in seiner Klageerwiderung rügelos in englischer Sprache eingelassen hat. Soll das Verfahren vollständig in englischer Sprache geführt werden, so ist dies einschließlich einer etwaigen dahingehenden Parteivereinbarung anzugeben und eine englischsprachige Klageschrift einzureichen. Im weiteren Verlauf sind alle Verfahrenshandlungen in englischer Sprache vorzunehmen. Dies betrifft die Verfügungen des Gerichts, die mündliche Verhandlung, das (Wort-)Protokoll, eine etwaige Beweisaufnahme sowie die verfahrensleitenden Verfügungen des Gerichts und alle Schriftsätze. Eine Übersetzung englischsprachiger Urkunden ist nicht, die Übersetzung deutschsprachiger Schriftstücke nur auf Antrag erforderlich. Ein Dolmetscher oder Übersetzer kann jedoch in jeder Lage des Verfahrens hinzugezogen werden, soweit dies im Einzelfall erforderlich ist. Wenn die spätere Veröffentlichung einer gerichtlichen Entscheidung beabsichtigt ist, hat das Gericht die Übersetzung der vollständigen Entscheidung in die deutsche Sprache zu veranlassen und beide Sprachfassungen zusammen zu veröffentlichen.
Auch die verfahrensabschließende Entscheidung des Gerichts ergeht bei englischsprachigem Verfahren grundsätzlich in englischer Sprache. Auf Antrag einer Partei ist die vollstreckbare gerichtliche Entscheidung jedoch ins Deutsche zu übersetzen, wobei die Übersetzung nicht den Tatbestand und die Entscheidungsgründe enthalten muss.
Rechtsmittel gegen Entscheidungen der Commercial Chamber und des Commercial Court
Die Landesregierungen haben die Möglichkeit, dem Commercial Court die Rechtsmittelzuständigkeit für Entscheidungen der Commercial Chambers zuzuweisen. Gegen Urteile des Commercial Courts findet die Revision beim BGH statt, die, sofern ein erstinstanzliches Urteil des Commercial Courts angegriffen wird, keiner Zulassung bedarf.
Rechtsmittelschriften gegen Entscheidungen in Verfahren, die in englischer Sprache geführt worden sind, sind in englischer Sprache einzureichen. Für die Revision zum BGH gilt dies unter der Voraussetzung, dass das vorangegangene Berufungs- oder Beschwerdeverfahren in englischer Sprache geführt worden ist, der Rechtsmittelführer die Durchführung des Verfahrens in englischer Sprache beantragt hat und der BGH diesem Antrag stattgegeben hat. Lehnt der BGH den Antrag ab, ist die Rechtsmittelschrift auf Anforderung des Gerichts in deutscher Sprache nachzureichen. Selbst bei einer Parteivereinbarung zugunsten der englischen Sprache können sich die Parteien daher nicht sicher sein, dass das Verfahren durchgängig in englischer Sprache geführt werden wird.
Organisationstermin und Wortprotokoll
Mit dem Justizstandort-Stärkungsgesetz werden zudem stärker als bisher verbreitete schiedsverfahrensrechtliche Instrumente aufgegriffen. Über den nach der ZPO fakultativen frühen ersten Termin hinaus treffen die Commercial Chamber und der Commercial Court im ersten Rechtszug in Anlehnung an die in Schiedsverfahren übliche erste Case-Management-Konferenz verpflichtend mit den Parteien so früh wie möglich in einem Organisationstermin Vereinbarungen über die Organisation und den Ablauf des Verfahrens. Der Organisationstermin soll den Parteien und dem Gericht die Möglichkeit geben, den Sach- und Streitstoff abzuschichten, zu systematisieren und einen Verfahrensplan festzulegen, der eine effiziente Durchführung des weiteren Verfahrens gewährleisten soll. Als weiteres aus der Schiedsgerichtsbarkeit bekanntes Element kann auf übereinstimmenden Antrag der Parteien vor dem Commercial Chamber und im ersten Rechtszug vor dem Commercial Court während der Verhandlung oder Beweisaufnahme ein (für die Parteien mitlesbares) Wortprotokoll geführt werden, was über die bisherigen Möglichkeiten des Zivilprozesses hinausgeht.
Verbesserter Schutz von Geschäftsgeheimnissen in allen Zivilverfahren
Schließlich bringt das Justizstandort-Stärkungsgesetzt auch Änderungen im Bereich des Geheimnisschutzes, die nicht nur für Verfahren vor den Commercial Chambers und den Commercial Courts, sondern für alle Zivilverfahren gelten. So kann ein Gericht nunmehr auf Antrag einer Partei potenzielle Geschäftsgeheimnisse ganz oder teilweise als geheimhaltungsbedürftig einstufen, woraufhin die Regelungen des Gesetzes zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen greifen. Alle als Geschäftsgeheimnis eingestuften Informationen müssen dann während und nach dem Verfahren vertraulich behandelt werden. Darüber hinaus hat das Gericht die Möglichkeit, den Zugang zu den geheimhaltungsbedürftigen Informationen zu beschränken und die Öffentlichkeit von der mündlichen Verhandlung auszuschließen.
Fazit
Insgesamt enthält das Justizstandort-Stärkungsgesetz eine begrüßenswerte, wenn auch im internationalen Vergleich recht späte Öffnung des deutschen Zivilverfahrensrechts für englischsprachige Zivilverfahren. Die deutsche Justiz, die ohnehin eine qualitativ hochwertige und kostengünstige Lösung für zivilrechtliche Streitigkeiten anbietet, die nicht auf schiedsverfahrensrechtliche Besonderheiten wie Geheimhaltung oder weltweite Vollstreckung angewiesen sind, wird damit noch attraktiver.
Im Wettbewerb mit anderen Gerichtsstandorten wird sich die föderale Struktur der deutschen Justiz möglicherweise als Hemmnis erweisen, weil dadurch keine Bündelung bei einem einzigen Gericht entsteht. Gleichzeitig erlaubt das Miteinander unterschiedlicher, qualitativ auf höchstem Niveau arbeitender Oberlandesgerichte aber auch eine inhaltliche Ausdifferenzierung nach unterschiedlichen Rechtsgebieten, wie sie einige Bundesländer bereits jetzt in ihrem Instanzenzug praktizieren. Insgesamt ist es daher auch im internationalen Vergleich attraktiv, dass mit dem Justizstandort-Stärkungsgesetz nun ein für Wirtschaftsstreitigkeiten besonders gut geeignetes Verfahren mit verkürztem Instanzenzug, englischsprachigem Verfahren und den fachlich und personell exzellent ausgestatteten Oberlandesgerichten als Eingangsinstanz bereitsteht. Sowohl für deutsche als auch ausländische Unternehmen steht damit eine qualitativ hochwertige und zugleich kostengünstige Alternative zum Schiedsverfahren zur Verfügung, jedenfalls in Fällen, die nicht auf Spezifika des Schiedsverfahrensrechts wie völlige Verschwiegenheit und weltweite Vollstreckbarkeit angewiesen sind.
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