Kartellrecht

Wichtige Entwicklungen im deutschen Kartellrecht im 2. Halbjahr 2024

Das Bundeskartellamt hat 2024 nicht nur mehr Zusammenschlüsse geprüft, sondern auch deutlich höhere Bußgelder wegen Kartellverstößen verhängt als noch im Vorjahr. Bei der Verfolgung missbräuchlicher Verhaltensweisen von Marktbeherrschern und der Durchsetzung des § 19a GWB war das Amt gewohnt aktiv. Im Bereich der Kartellschadensersatzklagen bleibt es beim Trend zu klägerfreundlichen Entscheidungen. Hier beleuchten wir die wichtigsten Entscheidungen im zweiten Halbjahr 2024.

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I. Fusionskontrolle

Im Jahr 2024 hat das Bundeskartellamt („BKartA“) rund 900 Zusammenschlüsse geprüft, davon zehn in Phase II. Neben einer Untersagung gab es in den Hauptprüfverfahren vier Rücknahmen, drei davon im Berichtszeitraum. Insgesamt drei Vorhaben wurden nach vertiefter Prüfung freigegeben (zu Thermo Fisher/Olink siehe Newsletter 1/2024), zwei sind noch anhängig.

1. Krankenhausfusion untersagt

Ende Juli 2024 untersagte das BKartA den Erwerb einer Mehrheitsbeteiligung an der Uniklinik Mannheim durch die Uniklinik Heidelberg. Die Uniklinik Heidelberg gehört zu den größten Unikliniken Deutschlands und verfügt laut der Bonner Behörde über eine marktbeherrschende Stellung auf dem Heidelberger Krankenhausmarkt. Diese hätte sich nach Auffassung des Kartellamts durch den Zusammenschluss weiter verstärkt und auf die Gebiete Mannheim und Heppenheim ausgeweitet.

Die Beteiligten drangen mit ihrer Argumentation, dass zunehmende Patientenzahlen die Behandlungsqualität steigerten (sog. Volume-Outcome-Effekt), nicht durch. Nach Auffassung des Amts vermochten es derartige Effekte nicht, die wettbewerblichen Nachteile aufzuwiegen, zumal es sich bei den Parteien bereits um Maximalversorger mit hoher Spezialisierung handelte. Etwaige Effizienzvorteile könnten die Kliniken auch durch medizinische und wissenschaftliche Kooperationen generieren. Wie bereits im Zusammenhang mit der Sektorenuntersuchung von 2021 betonte das BKartA, dass insbesondere die Trägervielfalt ein entscheidender wettbewerblicher Anreiz sei, eine hohe Behandlungsqualität zu gewährleisten. Die Beteiligten haben gegen die Entscheidung Beschwerde beim OLG Düsseldorf eingelegt und die Möglichkeit der Beantragung einer Ministererlaubnis öffentlich erwogen.

Die Untersagungsentscheidung wird vorläufig die letzte ihrer Art sein. Nachdem zwischen 2003 und 2024 über 400 Zusammenschlüsse im Krankenhaussektor geprüft und lediglich acht untersagt wurden, wurden Krankenhausfusionen im Dezember 2024 mit der Krankenhausreform des Bundesministeriums für Gesundheit der deutschen Fusionskontrolle weitgehend entzogen. Nach § 187 Abs. 10 GWB soll bis Ende 2030 im Wesentlichen eine Bestätigung der für die Krankenhausplanung zuständigen Landesbehörden ausreichen, dass der Zusammenschluss für die Verbesserung der Krankenhausversorgung erforderlich gehalten wird. Damit soll ein Konsolidierungsfenster für Krankenhäuser eröffnet werden, in welchem sie ohne wettbewerbsrechtliche Prüfung fusionieren können. Die Neuregelung ist auf breite Kritik von Seiten des Bundeskartellamtes, der Monopolkommission und auch der Wissenschaft gestoßen.

2. Rücknahme von Anmeldungen

Im Berichtszeitraum wurden gleich drei Anmeldungen im Hauptprüfverfahren zurückgenommen:

• Im Juli 2024 zogen Ansys/Safe Parents ihre Anmeldung zurück. Das Vorhaben betraf einen konglomeraten Zusammenschluss. Das Amt war nach vertiefter Prüfung zu dem Schluss gekommen, dass der Erwerb einer Minderheitsbeteiligung von 35 % an Safe Parents durch Ansys die bereits bestehende marktbeherrschende Stellung der Beteiligten auf den weltweiten Märkten für Simulationssoftware für Crashtests mit Insassenschutz (Ansys) bzw. für physische und virtuelle Crashtest-Dummies (Safe Parent) verstärken würde.

Das Angebot beider Parteien ist komplementär, muss kompatibel sein und wird von ihren Kunden (insbesondere aus der Automobilindustrie) gemeinsam nachgefragt. Nach Ansicht des BKartA hätte die zusammengeschlossene Einheit Möglichkeiten und Anreize zur Behinderung ihrer Wettbewerber, insbesondere durch Kopplungsstrategien, gehabt. Die von den Parteien angebotenen Zusagen vermochten die wettbewerblichen Bedenken nicht zu entkräften, zumal sie eine laufende Verhaltenskontrolle erfodert hätten, die das Amt bekanntlich in aller Regel nicht akzeptiert.

• Die Anmeldung im Verfahren Bertelsmann/Paramount betreffend den Zusammenschluss der TV-Sender Super-RTL, der zu Bertelsmann gehörenden RTL-Gruppe und Nikolodeon (Paramount), wurde im September 2024 zurückgenommen, nachdem das BKartA durchgreifende wettbewerbliche Bedenken hinsichtlich des Markts für Bewegtbildwerbung für die Zielgruppe Kinder von drei bis 13 Jahren geäußert hatte.

• Das Vorhaben Remondis/Biowerk Walldorf wurde nach Rücknahme in Phase II in modifizierter Form neu angemeldet und im Vorprüfverfahren freigegeben. In der Sache ging es um eine Minderheitsbeteiligung von Remondis an einer geplanten Vergärungsanlage für Bioabfälle und Grünschnitt in Walldorf.

Bereits im Vorprüfverfahren wurden die Anmeldungen der DigitalBridgeGroup zur Übernahme der Yondr-Group sowie der Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens zur Vermarktung von Netzwerk-APIs für standardisierte Zugänge zu Telekommunikationsdiensten durch AT&T, Deutsche Telekom, Vodafone, Telefónica und Ericsson zurückgenommen.

3. Freigaben in Phase II

Im Berichtszeitraum gab das BKartA zwei Zusammenschlüsse frei, obgleich die jeweiligen Erwerber bereits vorher über eine sehr starke bzw. marktbeherrschende Stellung verfügten. In beiden Fällen konnte jedoch eine erhebliche Behinderung wirksamen Wettbewerbs nicht mit der für eine Untersagung notwendigen Sicherheit festgestellt werden.

• Im November 2024 erfolgte die Freigabe des Erwerbs von 49 % der Anteile an GEST Stameseder durch Schüco trotz Schücos marktbeherrschender Stellung auf dem deutschlandweiten Gesamtmarkt für Aluminium-Gebäudesysteme und den Teilmärkten für Fenster-, Tür- und Fassadensysteme. Ausschlaggebend war, dass es nur zu unwesentlichen Marktanteilsadditionen und geringfügigen Portfolio-Effekten kam.

• Im Verfahren KME/Sundwiger konnte eine signifikante Absicherung der erheblichen wettbewerblichen Verhaltensspielräume von KME auf dem EWR-weiten Markt für Kupferwalzprodukte aufgrund des geringen Zugewinns an Marktmacht nicht mit hinreichender Sicherheit prognostiziert werden.

4. Interessante Freigaben in Phase I

Das Kartellamt hat im Juli im Vorprüfverfahren dem Erwerb von geistigem Eigentum und Patentrechten der CureVac durch GlaxoSmithKline grünes Licht gegeben. Gegenstand der Transaktion sind Impfstoffkandidaten für COVID-19, aber auch die saisonale Grippe sowie pandemische und universelle Influenza. Bei der Prüfung der Übernahme legte das Amt besonderen Wert auf den Schutz des Innovationswettbewerbs und den Erhalt der Forschungsvielfalt. Das Vorhaben war lediglich aufgrund der Transaktionswertschwelle anmeldepflichtig. Neben einem Kaufpreis von EUR 400 Mio. können noch Meilenstein- und Lizenzzahlungen von bis zu EUR 1,05 Mrd. hinzukommen.

Im September hat das BKartA die Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens zwischen der thyssenkrupp Marine Systems, einer Tochtergesellschaft der thyssenkrupp AG und der NVL, einer Tochtergesellschaft der Lürssen Maritime Beteiligungen, freigegeben. Das Gemeinschaftsunternehmen dient der gemeinsamen Bewerbung um das Rüstungsprojekt Fregatte 127 der Deutschen Marine, das Mitte 2025 vergeben werden soll. Der Präsident des BKartA, Andreas Mundt, betonte, dass die Komplexität und der Umfang solcher Projekte oft die Bündelung von Ressourcen und Expertise erfordert. Der Arbeitsgemeinschaftsgedanke, der hinter diesem Zusammenschluss stehe, diene nicht zuletzt der Sicherstellung, dass solche Großprojekte überhaupt realisierbar sind. Hinsichtlich der erwartbaren Investitionen in Wehrtechnik ist davon auszugehen, dass es zukünftig vermehrt zu vergleichbaren Kooperationen kommen wird.

Im September bzw. November genehmigte das BKartA den Erwerb durch Thalia von Vermögensgegenständen von Weltbild und buecher.de jeweils aus der Insolvenz. Thalia ist das mit Abstand größte stationäre Buchhandelsunternehmen in Deutschland. Von Weltbild übernahm Thalia Kundenbeziehungen aus dem Onlineshop, den von Weltbild vertriebenen E-Reader der Marke Tolino sowie Weltbild-Marken und Domains. Maßgeblich für die Freigabe war unter anderem, dass die – aufgrund der Insolvenz bereits geschlossenen – Weltbild-Ladengeschäfte nicht erworben wurden. Vom reinen Onlinehändler buecher.de kaufte Thalia den bestehenden Geschäftsbetrieb, einschließlich der Kundenbeziehungen sowie die buecher.de-Marken und Domains. Bei der Prüfung beider Vorhaben ging es auch um die Nachfragemacht von Thalia gegenüber den Verlagen und dem Großhandel auf den Beschaffungsmärkten. Da aber der beschaffungsseitige Zuwachs durch buecher.de auch nach dem Erwerb der Weltbild-Assets gering ausfiel und eine ausreichend starke Nachfrage ermittelt wurde, erwartet das BKartA keine wettbewerblichen Probleme. In beiden Verfahren spielte zudem eine Rolle, dass mit Amazon ein deutlich größerer Wettbewerber im Onlinehandel existiert. Zur Frage, ob stationärer und Onlinebuchhandel zum gleichen Markt gehören, bezog das Amt wiederum keine eindeutige Position.

Im Dezember hat das BKartA nach intensiven Ermittlungen im Vorprüfverfahren den Beitritt von Konsum Dresden zum Edeka-Verbund freigegeben. Konsum Dresden ist eine Konsumgenossenschaft mit über 20.000 Mitgliedern und betreibt rund 30 überwiegend kleinflächige LEH-Standorte in Dresden und Umland.

Das Amt hatte im Mai dieses Jahres erstmals im Verfahren Konsumgenossenschaft Leipzig / Edeka den Beitritt zu einer Genossenschaft als fusionskontrollpflichtigen Zusammenschluss angesehen (siehe Newsletter 1/2024). Das Amt betrachtet den Edeka-Verbund weiterhin als wirtschaftliche Einheit.

Im Ergebnis wurde der Zusammenschluss freigegeben, weil in der Region ausreichend starke Wettbewerber wie die Schwarz-Gruppe (Lidl und Kaufland) und Rewe als hinreichende Einkaufsalternativen vorhanden sind. Auf der bundesweit betrachteten Beschaffungsebene stufte das Amt den Zuwachs bei Edeka zu gering ein, um wettbewerbliche Bedenken auszulösen, stellte aber in Aussicht, die Beschaffungsmärkte weiter genau zu beobachten.

5. Übernahme von Mitarbeitern kann fusionskontrollpflichtig sein

Bereits im März 2024 hat Microsoft nahezu alle Mitarbeitenden der Inflection AI übernommen. Die erst 2022 gegründete Inflection AI hat den Chatbot Pi entwickelt. Es handelt sich um einen Fall sog. Aqui-hires, bei der es um die Übernahme hoch qualifizierter Mitarbeiter mit speziellem Know-how geht. Gerade in der Digitalindustrie nehmen solche Übernahmen aktuell deutlich zu.

Der Fall ähnelt der Konstellation der Transaktion CTS Eventim/Four Artists. Nachdem das BKartA 2017 den Erwerb einer Mehrheitsbeteiligung an Four Artists durch Eventim untersagt hatte, gründete Eventim eine Tochtergesellschaft, die den Geschäftsführer von Four Artists sowie die Mehrheit der Mitarbeitenden anstellte. Seinerzeit hatte das Amt keine Möglichkeit zum Einschreiten gesehen.

In Sachen Microsoft/Inflection AI kam das BKartA allerdings zu dem Ergebnis, dass die Übernahme des Personals zusammen mit Begleitvereinbarungen zur Finanzierung und Verwendung von Schutzrechten einen Zusammenschluss im Sinne der deutschen Fusionskontrolle darstellt. Der Fall erreichte aber im Ergebnis nicht die nationalen Schwellenwerte: Zwar lag der Wert der Gegenleistung bei über 400 Mio. Euro, was die Transaktionswertschwelle als Aufgreifkriterium überschritten hätte, jedoch hatte Inflection als Target zum Übernahmezeitpunkt noch keine ausreichende Inlandstätigkeit. Das Verfahren wurde daher eingestellt.

Zuvor hatte bereits die Europäische Kommission die Transaktion als Zusammenschlusstatbestand bewertet. Die Umsatzschwellen der FKVO waren indes nicht erfüllt. Über die daraufhin von verschiedenen Mitgliedstaaten beantragte Verweisung nach Art. 22 FKVO entschied die Kommission im Lichte der EuGH-Entscheidung Illumina/Grail nicht mehr. In den Urteilen Rs. C-611/22 P und C-625/22 P hatte der EuGH zwischenzeitlich klargestellt, dass Art. 22 FKVO gerade nicht für Verweisungsanträge von unzuständigen Mitgliedsstaaten mit eigenem Fusionskontrollregime genutzt werden kann.

II. Missbrauchsverbot

1. Beendigung des Facebook-Verfahrens

Mitte Oktober 2024 informierte das BKartA über die Beendigung seines Facebook-Verfahrens. Ausgangspunkt war seinerzeit ein Beschluss aus Februar 2019, in dem Meta (Facebook) untersagt wurde, personenbezogene Nutzerdaten ohne Einwilligung aus verschiedenen Quellen zusammenzuführen. Im Rahmen der folgenden gerichtlichen Auseinandersetzung (u. a. vor dem BGH und dem EuGH) verhandelten das Amt und der Digitalkonzern immer wieder über konkrete Maßnahmen zur Umsetzung der amtlichen Entscheidung aus dem Jahr 2019.

Das BKartA hat nunmehr die Einzelmaßnahmen von Meta (Facebook) als hinreichend wirkungsvolles Gesamtpaket angesehen und deshalb das Verfahren abgeschlossen. Zu den Maßnahmen gehört insbesondere die Einführung einer Kontenübersicht zur Datentrennung zwischen den jeweiligen Meta-Diensten.

2. Neue Entwicklungen zu § 19a GWB

Auch im Berichtszeitraum hat das BKartA die Verfahren gegen Unternehmen mit überragender marktübergreifender Bedeutung weiter vorangetrieben.

Ende September 2024 hat das Amt entschieden, dass auch der Digitalkonzern Microsoft – neben derzeit Alphabet (Google), Meta (Facebook), Amazon und Apple – der erweiterten Missbrauchsaufsicht nach § 19a GWB unterliegt. Bei dieser Feststellung wurde nicht nur Microsofts starke Stellung bei Betriebssystemen und Textverarbeitungsprogrammen, sondern auch auf anderen Märkten (z. B. Cloud-Services, Software für Videokonferenzen und Künstlicher Intelligenz) berücksichtigt. Konkrete Verhaltensweisen von Microsoft untersucht das BKartA zumindest derzeit noch nicht. Entsprechende Verfahren dürften jedoch in Kürze eingeleitet werden.

Nachdem der BGH im Frühjahr 2024 die Entscheidung des Amts abschließend bestätigt hatte, dass Amazon unter § 19a GWB fällt (siehe u. a. Newsletter 1/2024), hat das BKartA in dem seit 2020 laufenden Verfahren „Amazon Preiskontrolle“ eine Händlerbefragung angestoßen. In der Sache geht es um den Vorwurf, dass Amazon durch die Nutzung von Kontrollmechanismen und Algorithmen Einfluss auf die Preisfreiheit der Dritthändler im Marketplace nimmt. Das BKartA befragt nun rund 2.000 repräsentativ ausgewählte Händler. Die Händlerbefragung soll insbesondere Informationen zu den Auswirkungen der Überprüfung der Preise durch Amazon auf das Verhalten der Dritthändler liefern.

Ein aktueller Überblick zu allen § 19a-GWB-Verfahren ist auf der Internetseite des Amts abrufbar.

3. Marktmachtbericht Stromerzeugung 2023/24

Am 25. November 2024 hat das Amt den fünften Marktmachtbericht Stromerzeugung („Bericht über die Wettbewerbsverhältnisse bei der Erzeugung elektrischer Energie“) vorgelegt. Der Bericht analysiert die Marktmachtverhältnisse bei der Erzeugung und dem Erstabsatz von Strom im Zeitraum von Mai 2023 bis April 2024. Das BKartA bestätigt darin vorangegangene Berichtsergebnisse, wonach insbesondere RWE eine marktmächtige Stellung einnehmen könnte. In dem Bericht werden zugleich das durch die schwache Konjunktur geprägte besondere Marktumfeld und die damit einhergehende deutlich gesunkene Stromnachfrage im Vergleich zu den Vorjahren betont. Ebenfalls untersucht wurden jüngst aufgetretene Preisspitzen während sog. „Dunkelflauten“ und die Rolle des konzentrierten Stromerzeugermarkts.

4. Deutsche Bahn

Die Entscheidung des BKartA aus Juni 2023, in der zulasten der Deutschen Bahn (DB) ein Missbrauch ihrer Marktmacht gegenüber Mobilitätsplattformen festgestellt worden war (siehe Newsletter 1/2023 und 1/2024), ist um eine weitere Entwicklung reicher. Mitte August 2024 informierte das Amt darüber, dass die Deutsche Bahn erste Verträge mit Mobilitätsplattformen über den Zugang zu Prognosedaten des Schienenpersonenverkehrs zu den vom BKartA vorgegebenen Bedingungen abgeschlossen hat.

Dies zeigt, dass das Vorgehen des Amts – trotz des weiter anhängigen Hauptsacheverfahrens beim OLG Düsseldorf – tatsächlich Früchte trägt und die marktbeherrschende Deutsche Bahn die Geschäftsmodelle konkurrierender Mobilitätsplattformen nicht wie in früheren Jahren torpediert.

III. Kartellverbot

Im Jahr 2024 verhängte das BKartA Geldbußen in einer Gesamthöhe von rund EUR 19,4 Mio. Dies bedeutet gegenüber dem Vorjahreswert von EUR 6 Mio. mehr als eine Verdreifachung der Bußgeldsumme, ist aber weit entfernt von den Rekordsummen der jüngeren Vergangenheit mit dreistelligen Millionenbeträgen. Präsident Mundt führt dies auf die nachwirkende „Corona-Delle“ zurück.

Aktuell ist das Amt im Bereich der Kartellverfolgung dagegen wieder äußerst aktiv: 2024 gingen 17 Kronzeugenanträge - 3 mehr als im Vorjahr - beim BKartA ein. Die Beamten rückten zu 11 Durchsuchungen aus. Aktuell laufen mehrere große Kartellverfahren, die wohl überwiegend auf Quellen außerhalb des Kronzeugenprogramms zurückzuführen sind. Immer mehr maßgebliche Informationen gehen über Hinweisgebersysteme ein.

Laut Präsident Mundt arbeite man weiter an der IT-basierten Effektivierung der Kartellverfolgung. So werde bereits ein softwaregestütztes Markt-Screening durchgeführt und perspektivisch mehr KI zum Einsatz kommen, sodass sich „kein Kartell sicher fühlen“ könne. Zur Aufwertung der IT wurde im August 2024 die Abteilung „Digitale Dienste“ ins Leben gerufen, die eine organisatorische und personelle Bündelung der einschlägigen Aktivitäten einschließlich der IT-Forensik, also der Auswertung großer Datenmengen in Kartellverfahren, bewirken soll.

1. Bußgeldverfahren gegen Hersteller von Fritz!-Produkten AVM

Das BKartA verhängte gegen die AVM Computersysteme Vertriebs GmbH und einen ihrer verantwortlich handelnden Mitarbeiter Geldbußen von knapp EUR 16 Mio. wegen vertikaler Preisbindung mit sechs Elektronikfachhändlern. AVM ist insbesondere bekannt durch den Vertrieb von Routern, Repeatern, Telefonen und Smart-Home-Produkten unter der Marke „FRITZ!“. Eingeleitet wurde das Verfahren nach einer anonymen Eingabe im Hinweisgebersystem (BKMS) des BKartA und weiteren Hinweisen aus dem Markt mit einer Durchsuchung und endete mit einem Settlement.

AVM stimmte demnach neben den üblichen Verhandlungen über Einkaufspreise mit ihren Elektronikfachhändlern auch Endverbraucherpreise für AVM-Produkte ab. Die Absprachen bezogen sich auf eine Preisanhebung und bestimmte Zielpreise zwischen der UVP und dem Einkaufspreis der Händler. AVM monitorte die Endverbraucherpreise der Händler mittels Recherchen im stationären Handel und Preisvergleichsdiensten im Internet sowie einer speziellen Software. Abstimmungsmaßnahmen erfolgten vor allem, wenn Endverbraucherpreise stark unter den Zielpreisen lagen oder nach Beschwerden von Händlern über nicht auskömmliche Margen. Eine entsprechende Preisheraufsetzung soll „in vielen Fällen“ auch tatsächlich erfolgt sein.

2. Bußgeldverfahren zu Bauleistungen

Im November verhängte das BKartA gegen die Strabag AG eine Geldbuße von rund EUR 2,8 Mio. wegen verbotener Absprachen im Rahmen von Ausschreibungen (Submissionsabsprachen) betreffend die Auftragsvergabe zur Sanierung der Zoobrücke in Köln. Mitarbeiter der Strabag und der Kemna Bau Andreae GmbH & Co. KG hatten vereinbart, dass Kemna ein Schutzangebot abgibt, um den Zuschlag an die Bietergemeinschaft unter Beteiligung der Strabag zu ermöglichen. Kemna erhielt dafür eine Ausgleichszahlung. Ausgelöst wurde das Verfahren durch einen anonymen Hinweis im Hinweisgebersystem des BKartA. Gegen Kemna wurde es in Anwendung der Kronzeugenregelung eingestellt, da die vorgelegten Beweismittel den Tatnachweis ermöglichten. Auch Strabag kooperierte, sodass das Verfahren mit einem Settlement endete.

Dieser Fall reiht sich in eine Vielzahl von Verfahren ein, die eindrücklich belegen, dass die Baubranche weiterhin im Fokus der Kartellbehörden steht (s. zuletzt u.a. die Bußgeldverfahren Straßenbau, Industriebau und Brückendehnfugen, Newsletter 2/2022, 1/2023 und 2/2023).

3. Kooperationsvereinbarungen

Das Amt unterzog im Berichtszeitraum mehrere Kooperationsvereinbarungen einer kritischen Prüfung - mit unterschiedlichem Ausgang für die Unternehmen:
Vorläufig keine Einwände erhob das BKartA gegen die gemeinsame Anzeigenvermarktung der Heinrich BauerVerlag KG und der zu RTL gehörenden AdAlliance GmbH betreffend verschiedene Zeitschriften im Bereich „Lifestyle“. Erstere ist u.a. in den Kategorien „Essen/Trinken“ (z.B. „Lecker“), „Wohnen/Einrichten“ (z.B. „Wohnidee“) und „Frauenzeitschriften“ (z.B. „Cosmopolitan“) tätig, letztes publiziert mit z.B. „Essen & Trinken“, „Schöner Wohnen“ oder „Brigitte“ Konkurrenzblätter. Das BKartA sah es als problematisch an, dass sich die Zeitschriften nach Inhalt und Zielgruppe teilweise überschneiden, was wesentliche Anpassungen des Kooperationsvertrags mit Blick auf die Preishoheit von Bauer und den Informationsaustausch zwischen den Parteien erforderlich machte. Die Duldung der Kooperation beruhte letztlich auf wohlwollenden Ergebnissen einer Marktbefragung und der Bewertung, dass nur begrenzte Wettbewerbsbeschränkungen zu erwarten seien. Aus Kundensicht seien die betroffenen Titel keine engen Wettbewerber und eine Teilumschichtung des Werbebudgets zu anderen Medien sei möglich. Dennoch behält sich das Amt im Fall von Beschwerden oder Erweiterungen der Zusammenarbeit eine erneute Prüfung der Kooperation vor.

Negativ beschied das BKartA dagegen eine Kooperation zur Fernsehvermarktung zwischen RTL und RTL2, bei der RTL die Vermarktung von TV-Werbeflächen von RTL2 übernommen hätte. Man sehe dafür aktuell „keinen Spielraum“. Die Unternehmen hatten ihre Kooperation dem Amt freiwillig vorgestellt, um Rechtssicherheit im Hinblick auf die Freistellungsvoraussetzungen ihres Vorhabens zu erhalten. Trotz Modifikationen blieb das Amt nach 1,5-jähriger Prüfung und umfangreichen und mehrfachen Marktbefragungen bei seiner negativen Einschätzung. Eine solche Kooperation zwischen engen Wettbewerbern mit erheblicher Marktbedeutung würde zu höheren Preisen für die Marktgegenseite führen, ohne durchgreifende Vorteile wie Kosteneinsparungen zu bieten. Dies gelte trotz des Umbruchs hin zur Nutzung digitaler Medien. Neue Player würden bisher keinen nachhaltigen Druck auf die Platzierung von Werbung im linearen Fernsehen ausüben. RTL2 bleibe daher eine wichtige Ausweichalternative gegenüber den führenden Anbietern RTL und ProSiebenSat.1 (siehe auch oben zum Fusionsvorhaben von RTL und Paramount). Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass das BKartA Kooperationen im Medienbereich bereits seit längerer Zeit akribisch und kleinteilig prüft und vor Untersagungen nicht zurückschreckt.

Im August stellte das BKartA ein Verwaltungsverfahren gegen die Aurubis AG, die Wieland Werke AG und die Schwermetall Halbzeugwerk GmbH & Co. KG infolge von Verpflichtungszusagen ein. Aurubis und Wieland, Hersteller und Wettbewerber auf dem Markt für Flachwalzprodukte, hatten dazu die Zusammenarbeit in ihrem Gemeinschaftsunternehmen (GU) Schwermetall angepasst. Das GU produziert Vorwalzband, ein Vorprodukt für Flachwalzprodukte. Prüfungsgegenstand waren gesellschaftsvertragliche Vereinbarungen, mit denen die Änderungen des Produktmixes, Kundenportfolios sowie der Herstellung neuer Legierungen von der Zustimmung des Beirats des GU abhängig gemacht wurden. Das BKartA sah darin einen Hebel, um den Wettbewerb zwischen beiden Unternehmen zu beeinträchtigen sowie die Herstellung und Lieferung von Vorwalzband an Drittwettbewerber zu verhindern bzw. zu beenden. Die Aufhebung der Vereinbarungen soll nach den Erwartungen des BKartA jede Einflussnahme auf das GU verhindern und dessen selbständige, ertragsorientierte Wirtschaftstätigkeit gewährleisten.

4. BGH-Entscheidung zu Bußgeldverfahren

Mit Beschluss vom 17. September 2024 in Sachen Submissionsabsprache Kraftwerkstechnik hob der BGH auf die Rechtsbeschwerde des BKartA ein Urteil des OLG Düsseldorf zum Kartellordnungswidrigkeitenverfahren gegen Anbieter technischer Gebäudeausrüstung (TGA) teilweise auf. Das OLG hatte gegen die Nebenbetroffene Kraftanlagen Energies & Services GmbH in zwei Fällen Geldbußen i.H.v. zusammen EUR 21 Mio. verhängt, jedoch vom Vorwurf einer weiteren Tat unter anderem wegen Verjährung freigesprochen.

Der BGH stellte insofern klar, dass der Beginn der Verfolgungsverjährung bei Submissionsabsprachen nach nationalem Prozessrecht nicht auf den Vertragsschluss, sondern auf die vollständige Vertragsabwicklung falle, die jedenfalls nicht vor Erstellung der Schlussrechnung eintrete. Weil sich die Verfolgungsverjährung nach nationalem Recht bestimme, gebe die Auslegung des Verjährungsbeginns durch den EuGH i.S. Eltel (C-450/19) keinen Anlass für eine abweichende Beurteilung. Eine Vorlage zum EuGH hielt der BGH nicht für angezeigt. Im Umfang der Aufhebung verwies der BGH das Verfahren an einen anderen OLG-Kartellsenat zurück.
Darüber hinaus hob der BGH den Freispruch der Nebenbetroffenen aufgrund der fehlerhaften Annahme des OLG auf, der handelnde Abteilungsleiter habe keine leitende Funktion innegehabt und sei daher kein tauglicher „Anknüpfungstäter“. Im Umfang der Aufhebung verwies der BGH das Verfahren an einen anderen OLG-Kartellsenat zurück.

5. OLG Düsseldorf zu Exklusivitätsvereinbarungen

Das OLG Düsseldorf hob in seiner Entscheidung vom 28. August 2024 einen Feststellungsbeschluss des BKartA auf, in dem das Amt ein Wettbewerbsverbot in den Vertriebsvereinbarungen der STIHL Vertriebszentrale AG & Co. KG, Dieburg, nachträglich als kartellrechtswidrig eingestuft hatte. STIHL hatte selektiven Vertriebspartnern abverlangt, den Absatz von Wettbewerbsprodukten nicht zu fördern.

Anders als das BKartA sah das OLG Düsseldorf den Nachweis eines Verstoßes gegen das vertikale Kartellverbot nicht als erbracht. Das BKartA habe die etablierten Voraussetzungen für die Feststellung einer bewirkten Wettbewerbsbeschränkung von Alleinbezugsvereinbarungen in vertikalen Lieferverhältnissen nicht korrekt angewandt. Solche Vereinbarungen können eine spürbare Wettbewerbsbeschränkung erst bewirken, wenn (a) bei Existenz anderer erheblicher Marktzutrittsschranken (b) der Liefervertrag - ggf. i.V.m. anderen gleichartigen Verträgen desselben Lieferanten und anderer Lieferanten (Vertragsbündeln) - geeignet ist, neuen Wettbewerbern den Marktzugang oder eine Marktanteilssteigerung zu verschließen. Dabei sind u.a. der Anteil der gebundenen Händler im Verhältnis zu allen Vertriebsstellen im Markt, die Dauer der Vereinbarung und die jeweiligen Marktanteile der Vertragsparteien zu berücksichtigen.

6. Entscheidung des LG München I zur Sportvermarktung

Das LG München I erreichte im Herbst ein Verfügungsantrag zur Zulässigkeit der Bündelung von Werbe- und Medienrechten bei Sportverbänden. Der International Ski and Snowboard Federation (FIS) gehört der Deutsche Skiverband (DSV) an. Der Vorstand der FIS fasste am 26.4.2024 einen Beschluss über „die Zentralisierung der Medien- und Übertragungsrechte“ an Weltcup-Veranstaltungen, durch den die Wettkampfregeln geändert wurden. Der DSV forderte die FIS erfolglos auf, den Beschluss aufzuheben, da ihm die Verwertungsrechte der von ihnen durchgeführten Wetkämpfe zustünden. Das LG untersagte der FIS mit einstweiliger Verfügung, den Beschluss in Bezug auf die vom DSV durchgeführten Einzelveranstaltungen umzusetzen. Danach kann sich ein internationaler Sportverband nicht die zentrale Vermarktung der Wettkämpfe, die auch von nationalen Sportverbänden ausgerichtet werden, vorbehalten. Der Beschluss stelle eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung dar und sei missbräuchlich.

Das Verfügungsurteil steht in einer ganzen Reihe von Entscheidungen, die die Regeln und die Tätigkeit der internationalen Sportverbände unter den Aspekten des Kartellrechts kritisch bewerten (s. Newsletter 1/2023 und 1/2024).

IV. Kartellschadensersatz

1. EuGH zu Sammelinkasso in Schadensersatzfällen

Im Zusammenhang mit einer Schadensersatzklage gegen das Rundholzkartell hat sich der EuGH im Berichtszeitraum auf eine entsprechende Vorlagefrage des LG Dortmund hin mit der Frage befasst, inwiefern ein nationales Verbot der Abtretung von Kartellschadensersatzansprüchen an Inkassounternehmen zum Zweck der gebündelten Durchsetzung mit dem Unionsrecht vereinbar ist. Das LG Dortmund geht davon aus, dass sich ein derartiges Verbot in Deutschland zumindest für stand-alone-Klagen aus dem Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) ergibt. Weil das Landgericht befürchtet, dass ein solches Abtretungsverbot die effektive Durchsetzung des unionsrechtlich verbürgten Kartellschadensersatzanspruchs verhindern könnte, rief es den EuGH an, um die Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht klären zu lassen.
In seinen Schlussanträgen kam Generalanwalt Szpunar zu dem Ergebnis, dass das gesetzliche Abtretungsverbot unter den vom Landgericht in seinen Vorlagefragen zugrundegelegten Prämissen im Widerspruch zum unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz steht. Zu diesen Prämissen des Landgerichts zählte insbesondere, dass es für die Geschädigten zum einen keine andere Option als ein Sammelklageinkasso gab und dass es zum anderen ohne diese Möglichkeit praktisch unmöglich wäre oder jedenfalls übermäßig erschwert würde, eine Klage wegen geringfügiger Schäden zu erheben. Aus prozessrechtlichen Gründen musste der Generalanwalt diese Prämissen des LG Dortmund als gegeben zugrunde legen. Nichtsdestotrotz klingen in den Schlussanträgen durchaus Zweifel an, ob es im konkreten Fall tatsächlich keine andere Möglichkeit für Kläger gab, als ihre Ansprüche in einem Abtretungsmodell zu bündeln. So wies der Generalanwalt explizit darauf hin, dass es Sache des vorlegenden Gerichts wäre, die Richtigkeit seiner Prämissen zu überprüfen und dass auch die nachfolgenden Instanzen diese Überprüfung vornehmen können.
Im Januar 2025 hat sich der EuGH nunmehr den Schlussanträgen des Generalanwalts angeschlossen. Für die Praxis ist hiermit indes nicht viel gewonnen. Der Streit über die Unionsrechtskonformität eines Abtretungsmodells im konkreten Fall wird sich künftig vor allem auf die Frage konzentrieren, ob es den jeweiligen Geschädigten tatsächlich praktisch unmöglich war, ihre jeweiligen Ansprüche anderweitig, d.h. ohne ein entsprechendes Klagevehikel, durchzusetzen. Hierbei kann künftig unter anderem zu berücksichtigen sein, dass das im Oktober 2023 in Kraft getretene Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetz Verbrauchern und kleinen Unternehmen die Anspruchsbündelung durch Abhilfeklagen auch in Kartellschadensersatzklagen ermöglicht.

2. BGH zur Darlegungslast des Klägers (LKW-Kartell IV)

Die Frage nach dem Umfang der Darlegungslast des Klägers für die Entstehung und die Höhe von Kartellschäden beschäftigt die Gerichte seit Jahren. In Fortführung seiner jüngeren Rechtsprechung hat der BGH die Darlegungsanforderungen des Klägers nun in einem neuen Urteil zum LKW-Kartell weiter abgesenkt.
Das LG Leipzig und das OLG Dresden hatten die betreffende Klage in den Vorinstanzen unter Verweis auf eine unzureichende Substantiierung des Schadens durch den Kläger abgewiesen. Das OLG Dresden hatte dabei nach der gebotenen Gesamtwürdigung aller für und gegen einen Schadenseintritt sprechenden Umstände festgestellt, es sei praktisch ausgeschlossen, dass durch das kartellrechtswidrige Verhalten die Endkundenpreise im Ergebnis nicht beeinflusst worden sein könnten. Gleichwohl hatte es die Klage mangels hinreichender Substantiierung der Schadenshöhe durch den Kläger abgewiesen. Der Kläger hatte zwar die bekannte Metastudie von Oxera als Indiz für die Schadenshöhe vorgelegt, nicht aber eine auf den konkreten Fall bezogene Vergleichsmarktanalyse.

Der BGH stellte nun fest, dass das Berufungsgericht überzogene Anforderungen an die Darlegungslast des Klägers gestellt habe. Die vom OLG verlangten weiteren Indizien aus vom Kläger angestellten Preisvergleichen entsprächen der Forderung nach einer Vergleichsmarktanalyse. Eine solche könne letztlich nur mittels eines ökonomischen Sachverständigengutachtens erbracht werden. Zur Vorlage eines solchen sei der Kläger aber gerade nicht verpflichtet. Erachtet der Tatrichter eine Vergleichsmarktanalyse für die Schadensermittlung als geeignet, soll er demnach verpflichtet sein, auf ein entsprechendes Beweisangebot hin ein gerichtliches Sachverständigengutachten einzuholen.

Auch die Begründung, mit der das OLG die Schätzung eines Mindestschadens abgelehnt hatte, wies der BGH als rechtsfehlerhaft zurück. Das OLG sah die für eine Schätzung erforderliche Wahrscheinlichkeit, dass ein Schaden in Höhe von 15 % oder eines anderen Prozentsatzes im Sinne eines Mindestschadens entstanden war, nicht für gegeben. Angesichts der Vielgestaltigkeit und Komplexität wettbewerbsbeschränkender Absprachen lasse sich die Schadenshöhe auch anhand der Meta-Studie von Oxera nicht wissenschaftlich belegen. Der BGH attestierte dem OLG insofern, es habe entweder seine durch § 287 Abs. 1 ZPO eingeräumte Freiheit zur Schadensschätzung verkannt oder aber den Streitstoff widersprüchlich gewürdigt. Wenn es, wie das OLG selbst festgestellt hatte, praktisch ausgeschlossen sei, dass das LKW-Kartell sich nicht preissteigernd ausgewirkt hatte, könne das Kartell gerade nicht zu den wenigen in der Oxera-Studie genannten „wirkungslosen Kartellen“ zählen. Das OLG sei deshalb gehalten gewesen, eine Schadensermittlung auf Grundlage von § 287 Abs. 1 ZPO vorzunehmen. Der BGH verwies damit nochmals auf die Möglichkeit des Tatrichters, einen Mindestschaden entweder selbst zu schätzen oder unter Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens zu ermitteln.

3. BGH zur Zurückverweisung an das Landgericht (LKW-Kartell V)

In Kartellschadensersatzklagen wird häufig die Frage relevant, unter welchen Voraussetzungen das Berufungsgericht einen Rechtsstreit nach § 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO zur Beweisaufnahme an das Landgericht zurückverweisen kann. Das jüngste Urteil des BGH zum LKW-Kartell verschafft diesbezüglich Klarheit. Das OLG Stuttgart hatte von der Möglichkeit der Zurückverweisung an das Gericht des ersten Rechtszugs Gebrauch gemacht. Es hatte angenommen, dass die Ermittlung des Schadens nur mittels einer Regressionsanalyse möglich und daher zwingend ein gerichtliches ökonometrisches Gutachten einzuholen sei. Es sei nicht ersichtlich, dass ohne die Einholung eines solchen Gutachtens hinreichende Grundlagen für ein Wahrscheinlichkeitsurteil zur Verfügung stünden.

Der BGH hob das Urteil insoweit auf. Unter Bezugnahme auf seine ständige Rechtsprechung betonte er, dass eine Zurückverweisung als gesetzlicher Ausnahmefall nur dann in Frage komme, wenn eine umfangreiche oder aufwändige Beweisaufnahme sicher zu erwarten ist. Nicht ausreichend sei hingegen, wenn diese nur unter bestimmten Voraussetzungen erforderlich wird und der Eintritt dieser Voraussetzungen nicht sicher ist. Im konkreten Fall hielt der BGH es dementsprechend für erforderlich, dass das Berufungsgericht zunächst unter Berücksichtigung der für die Klägerin streitenden Erfahrungssätze eine umfassende Gesamtwürdigung aller maßgeblichen Umstände vornimmt. Nur aufgrund dieser Gesamtwürdigung könne darüber entschieden werden, ob eine weitere Beweisaufnahme überhaupt erforderlich ist und, wenn ja, ob sich diese als umfangreich oder aufwändig erweist.

Darüber hinaus hatte sich der BGH mit dem Streitgegenstand bei kartellrechtlichen Schadensersatzbegehren insbesondere in Sale & Lease-Back-Konstellationen zu befassen. Dabei- veräußert ein späterer Leasingnehmer einen Vermögensgegenstand an eine Leasinggesellschaft und schließt gleichzeitig einen Leasingvertrag mit der Leasinggesellschaft, um die Nutzungsmöglichkeit über den Vermögensgegenstand zu behalten. Für diese gerade in den zahlreichen Klagen gegen das LKW-Kartell häufige Konstellation hat der BGH nun Klarstellungen getroffen.

Der betreffende Kläger hatte LKW zunächst selbst von Mercedes Benz erworben, um sie in der Folge an Leasing- und Mietkaufgesellschaften zu verkaufen und zurückzuleasen. Diesbezüglich entschied der BGH, dass das Berufungsgericht hinsichtlich des Kaufs und des Leasings nicht von zwei eigenständigen prozessualen Ansprüchen habe ausgehen dürfen. Bei dem Kauf und dem anschließenden Verkauf und Rückleasing handele es sich um einen einheitlichen Lebenssachverhalt, aus dem ein einzelner prozessualer Anspruch entstehe.


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