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Arbeitsrecht: Das sieht der Koalitionsvertrag der 21. Legislaturperiode an arbeitsrechtlich relevanten Weichenstellungen vor

Am 9. April 2025 wurde der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD veröffentlicht. Auf über 140 Seiten enthält er unter anderem auch wichtige arbeitsrechtliche Weichenstellungen. Von Arbeitszeit über betriebliche Mitbestimmung bis zur Fachkräftesicherung – wir fassen die zentralen Punkte für Sie zusammen.

Das Wichtigste in Kürze

  1. Mehr Flexibilität bei der Arbeitszeit: Einführung einer wöchentlichen statt täglichen Höchstarbeitszeit zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie.
  2. Pflicht zur elektronischen Zeiterfassung: Unbürokratische Umsetzung mit Übergangsregelungen für kleine und mittlere Unternehmen geplant.
  3. Digitalisierung der betrieblichen Mitbestimmung: Online-Betriebsratssitzungen und digitale Betriebsratswahlen sollen ermöglicht und gesetzlich verankert werden.
  4. Maßnahmen gegen Fachkräftemangel: Steuerliche Anreize für mehr Arbeit, Erleichterung des längeren Verbleibs im Erwerbsleben und Aufbau einer digitalen Agentur für Fachkräfteeinwanderung.

Am 9. April 2025 wurde der Koalitionsvertrag für die 21. Legislaturperiode zwischen CDU, CSU und SPD unter dem Titel „Verantwortung für Deutschland“ veröffentlicht. In über 140 Seiten formuliert die neue Bundesregierung die zentralen politischen Weichenstellungen und ihre Leitlinien für die kommenden vier Jahre. Auch arbeitsrechtliche Themen nehmen dabei einen zentralen Stellenwert ein – unter anderem mit Blick auf Arbeitszeit, betriebliche Mitbestimmung, Digitalisierung, die Stärkung der Tarifbindung und Fachkräftesicherung.

Im Folgenden geben wir einen kurzen Überblick zu den wesentlichen arbeitsrechtlichen Themen und Vorhaben:

Arbeitszeit und Zeiterfassung

„Die Arbeitswelt ist im Wandel. Beschäftigte und Unternehmen wünschen sich mehr Flexibilität. Deshalb wollen wir im Einklang mit der europäischen Arbeitszeitrichtlinie die Möglichkeit einer wöchentlichen anstatt einer täglichen Höchstarbeitszeit schaffen – auch und gerade im Sinne einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf.“ (Rz. 557 ff.)

„Wir werden die Pflicht zur elektronischen Erfassung von Arbeitszeiten unbürokratisch regeln und dabei für kleine und mittlere Unternehmen angemessene Übergangsregeln vorsehen.“ (Rz. 561 ff.)

  • Union und SPD wollen eine höhere Flexibilität und Eigenverantwortung bei der Gestaltung der Arbeitszeit für Arbeitgeber und Mitarbeitende ermöglichen, weshalb eine Abkehr von einer täglichen Höchstarbeitszeit hin zu einer wöchentlichen Höchstarbeitszeit angestrebt wird. Ruhezeiten sollen jedoch nach wie vor zu beachten sein.

    Die geplante Orientierung an einer wöchentlichen Höchstarbeitszeit ist sowohl aus Arbeitnehmer als auch aus Arbeitgebersicht zu begrüßen: Arbeitgeber erlangen so größere Freiheiten bei der täglichen Arbeitszeitgestaltung für ihre Mitarbeitenden und haben vielfältige Möglichkeiten, attraktive Arbeitszeitmodelle zu etablieren und damit begehrte Fachkräfte anzuwerben. Für Arbeitnehmer führen flexiblere Gestaltungsmöglichkeiten bei der täglichen Arbeitszeit zu einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
  • Der Koalitionsvertrag sieht weiterhin eine Pflicht zur elektronischen Zeiterfassung vor. Die Koalitionsparteien streben dabei eine unbürokratische Regelung an. Zur Vermeidung von Herausforderungen sollen zudem für kleine und mittlere Unternehmen Übergangsvorschriften gelten. Vertrauensarbeitszeit soll ohne Zeiterfassung im Einklang mit der EU-Arbeitszeitrichtlinie möglich bleiben, wobei der Koalitionsvertrag offen lässt, was das bedeuten soll.

    Im Koalitionsvertrag sind hinsichtlich der elektronischen Arbeitszeiterfassung überwiegend Ziele festgehalten, die bereits in dem im letzten Jahr veröffentlichten Referentenentwurf zur Änderung des Arbeitszeitgesetztes des BMAS verankert waren. Angesichts der Aufnahme des Vorhabens in den Koalitionsvertrag dürften die klassischen Stundenzettel in Papierform bald ausgedient haben. Arbeitgeber ist bereits jetzt zu empfehlen, sich hinsichtlich der möglichen Umsetzungsformen der elektronischen Zeiterfassung zu informieren und ein geeignetes System zu etablieren.

Digitalisierung betriebliche Mitbestimmung

„Wir werden die Mitbestimmung weiterentwickeln. Wir ermöglichen Online- Betriebsratssitzungen und Online-Betriebsversammlungen zusätzlich als gleichwertige Alternativen zu Präsenzformaten. Zusätzlich soll die Option, online zu wählen, im Betriebsverfassungsgesetz verankert werden.“ (Rz. 579 ff.)

  • Die Digitalisierung soll nach den Plänen der Koalitionsparteien auch im Betriebsverfassungsgesetz Einzug halten: Zum einen sollen Online-Betriebsratssitzungen und Online-Betriebsversammlungen als gleichwertige Alternativen zu Präsenzformaten ermöglicht werden, zum anderen soll die Möglichkeit der digitalen Durchführung von Betriebsratswahlen im Gesetz verankert werden. Ziel dieser Maßnahmen ist es, Mitbestimmung in hybriden und dezentralen Arbeitsmodellen praktikabel und rechtssicher zu gestalten.
  • Auch die Gewerkschaften sollen zur Wahrnehmung ihrer Rechte einen digitalen Zugang zu den Betrieben erhalten. Durch die rechtliche Verankerung solcher digitaler Zugangsrechte soll insbesondere dem strukturellen Wandel hin zu Remote-Arbeitsplätzen und virtuellen Teams Rechnung getragen werden.

    Diese Etablierung virtueller Beteiligungsformate ist in einer seit Jahren immer stärker digitalisierten Arbeitswelt längst überfällig und wird in einigen Unternehmen bereits ohne eine gesetzliche Flankierung – und ohne endgültige Rechtssicherheit – umgesetzt. Vor diesem Hintergrund sind die Bestrebungen der Koalitionsparteien zu befürworten. Gleichzeitig können die Vorhaben Unternehmen aber auch vor neue Herausforderung stellen: Sofern die digitalen Beteiligungsformen genutzt werden sollen, müssen dafür die entsprechenden technischen Voraussetzungen geschaffen werden. Weiterhin ist bei der Umsetzung ein besonderes Augenmerk auf datenschutzrechtliche Aspekte zu legen.

Steuerliche Anreize für mehr Arbeit

„Damit sich Mehrarbeit auszahlt, werden Zuschläge für Mehrarbeit, die über die tariflich vereinbarte beziehungsweise an Tarifverträgen orientierte Vollzeitarbeit hinausgehen, steuerfrei gestellt.“ (Rz. 569 f.)

„Wir werden einen neuen steuerlichen Anreiz zur Ausweitung der Arbeitszeit von Teilzeitbeschäftigten schaffen: Wenn Arbeitgeber eine Prämie zur Ausweitung der Arbeitszeit zahlen, werden wir diese Prämie steuerlich begünstigen.“ (Rz. 574 ff.)

„Statt einer weiteren Erhöhung des gesetzlichen Renteneintrittsalters wollen wir mehr Flexibilität beim Übergang vom Beruf in die Rente. Dabei setzen wir auf Freiwilligkeit. Arbeiten im Alter machen wir mit einer Aktivrente attraktiv.“ (Rz. 611 ff.)

  • Zuschläge für Mehrarbeit sollen steuerfrei gestellt werden, wenn die Beschäftigten über die Arbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten hinaus arbeiten. Der Maßstab für Vollzeitarbeit bei tariflich festgelegter Wochenarbeitszeit liegt dabei bei mindestens 34 Stunden und bei nicht tariflich festgelegten Arbeitszeiten bei 40 Stunden. Darüber hinaus soll es möglich sein, dass Arbeitgeber steuerlich begünstigte finanzielle Anreize für die Ausweitung der Arbeitszeit von Teilzeitbeschäftigten auf Vollzeit gewähren. Ziel dieser Maßnahmen ist es, vorhandene Arbeitskraft in größerem Maße nutzbar zu machen und so dem Fachkräftemangel entgegenzusteuern.

    Wie die Koalitionsparteien diese Steuerbegünstigungen konkret umsetzen werden, bleibt abzuwarten. Schwierigkeiten dürften sich hier insbesondere mit Blick auf eine mögliche Diskriminierung von teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmern ergeben.
  • Weiterhin soll ein Anreiz zur Weiterarbeit nach Erreichen des gesetzlichen Renteneintrittsalters gesetzt werden. Wer freiwillig weiterarbeitet, soll sein Gehalt bis zu 2.000 Euro im Monat steuerfrei erhalten. Diese Maßnahme zielt darauf ab, die Erwerbsbeteiligung erfahrener Fachkräfte zu verlängern. Um dies zusätzlich zu fördern, soll das Vorbeschäftigungsverbot in diesen Fällen aufgehoben werden, sodass eine Weiterarbeit beim selben Arbeitgeber auch befristet – ohne einen gesetzlich definierten Sachgrund – möglich ist.

    Insbesondere Letzteres ist zu begrüßen, da wir es in der täglichen Beratungspraxis häufig erleben, dass Arbeitgeber zuvor bei ihnen beschäftigte Mitarbeiter gerne nach Erreichen des Renteneintrittsalters weiterbeschäftigen würden, nachdem das Arbeitsverhältnis aufgrund des Erreichens des Renteneintrittsalters geendet hat aber gehemmt sind, sich auf ein weiteres unbefristetes Arbeitsverhältnis mit diesen Arbeitnehmern einzulassen. Das Gesetzesvorhaben beseitigt damit für Arbeitgeber bestehende Unsicherheiten und erleichtert für Arbeitnehmer den Verbleib im Beruf.

Tarifbindung

„Unser Ziel ist eine höhere Tarifbindung. Tariflöhne müssen wieder die Regel werden und dürfen nicht die Ausnahme bleiben.“ (Rz. 552 f.)

„Wir machen Mitgliedschaft in Gewerkschaften durch steuerliche Anreize für Mitglieder attraktiver.“ (Rz. 585)

  • Die Koalition strebt eine höhere Tarifbindung an, was sich damit begründen lässt, dass kollektiv verhandelte Arbeitsbedingungen und Löhne grundsätzlich als faire Arbeitsbedingungen angesehen werden.
  • Zu Förderung dieses Ziels soll das Bundestariftreuegesetz auf den Weg gebracht werden. Der Gesetzesentwurf sieht vor, dass die öffentliche Auftragsvergabe auf Bundesebene ab einem Schwellenwert von 50.000 Euro (bzw. 100.000 Euro für Start-ups) nur an Unternehmen erfolgen darf, die die Bedingungen des jeweils einschlägigen (Branchen-)Tarifvertrages für ihre Beschäftigten einhalten.

    Ob dies letztendlich auch eine Vorbildfunktion für den privaten Markt entfaltet und auch dort zur Ausweitung der Tarifbindung beitragen kann, bleibt abzuwarten.
  • Zusätzlich zur beabsichtigten Erhöhung der Tarifbindung will die Koalition für Beschäftigte Anreize schaffen, einer Gewerkschaft beizutreten. Auch dies stellt ein nicht unwesentliches Instrument zur Ausweitung der Tarifbindung dar und könnte die Bedeutung kollektiver Strukturen in der Arbeitswelt weiter verstärken.

Fachkräftesicherung

„Die Sicherung der Fachkräftebasis ist ein entscheidender Faktor für den wirtschaftlichen Erfolg unseres Landes.“ (Rz. 404 f.)

„Die Erhöhung der Erwerbsbeteiligung von Frauen ist ein entscheidender Faktor zur Fachkräftesicherung.“ (Rz. 406 f.)

„Es gilt, bürokratische Hürden einzureißen, etwa durch eine konsequente Digitalisierung sowie die Zentralisierung der Prozesse und eine beschleunigte Anerkennung der Berufsqualifikationen. Dafür schaffen wir, unter Mitwirkung der Bundesagentur für Arbeit, eine digitale Agentur für Fachkräfteeinwanderung – „Work-and-stay-Agentur“ – mit einer zentralen IT-Plattform als einheitliche Ansprechpartnerin für ausländische Fachkräfte. Die Agentur bündelt und beschleunigt unter anderem alle Prozesse der Erwerbsmigration und der Anerkennung von Berufs- und Studienabschlüssen und verzahnt diese mit den Strukturen in den Ländern. Wir erleichtern die Prozesse durch eine bessere Arbeitgeberbeteiligung. Wir setzen uns für einheitliche Anerkennungsverfahren innerhalb von acht Wochen ein.“ (Rz. 419 ff.)

  • Die Koalitionsparteien haben den stetig wachsenden Bedarf an Fachkräften als Herausforderung für Arbeitsmarkt und Wirtschaft erkannt. Daher stellt die nachhaltige Sicherung qualifizierter Arbeitskräfte einen zentralen Regelungsgegenstand des Koalitionsvertrages dar.
  • Dabei wird zum einen die Stärkung der Erwerbsbeteiligung von Frauen – flankiert von Maßnahmen zur Legalisierung und Förderung haushaltsnaher Dienstleistungen – in den Blick genommen.
  • Zum anderen soll eine digitale „Work-and-stay-Agentur“ eingerichtet werden, die die Prozesse der Erwerbsmigration und die Anerkennung von Berufs- und Studienabschlüssen fördern und beschleunigen soll.

Mindestlohn

„Wir stehen zum gesetzlichen Mindestlohn.“ (Rz. 546)

  • Nach wie vor soll der Mindestlohn von einer unabhängigen Mindestlohnkommission festgelegt werden. Diese soll sich im Rahmen einer Gesamtabwägung sowohl an der Tarifentwicklung als auch an 60 Prozent des Bruttomedianlohns von Vollzeitbeschäftigten orientieren.
  • Union und SPD halten eine Entwicklung der Höhe des Mindestlohns auf 15 Euro im Jahr 2026 für erreichbar.

    Ein erhöhter, armutsfester Mindestlohn soll die Kaufkraft stärken, atypische Beschäftigung reduzieren und zur Entlastung der Grundsicherungssysteme beitragen. Gerade Unternehmen im Niedriglohnbereich kann diese weitere Erhöhung des Mindestlohns aber vor große finanzielle Herausforderungen stellen.

Betriebliche Altersversorgung

„Zusätzlich werden wir die betriebliche Altersversorgung stärken und deren Verbreitung besonders in kleinen und mittleren Unternehmen und bei Geringverdienern weiter vorantreiben.“ (Rz. 603 f.)

  • Weiterhin thematisieren Union und SPD die Verbreitung und Stärkung der betrieblichen Altersversorgung. Betriebliche Versorgungsmodelle sollen auch für kleinere und mittlere Unternehmen attraktiv werden, indem die betriebliche Altersversorgung insbesondere digitalisiert, vereinfacht, entbürokratisiert und transparenter gestaltet werden soll.
  • Außerdem möchten die Koalitionspartner die Portabilität der betrieblichen Altersvorsorge bei einem Arbeitgeberwechsel erhöhen.

Sonstiges

  • Die Koalitionsparteien haben sich darüber hinaus auf Maßnahmen zur Entbürokratisierung geeinigt. Beispielhaft dafür ist der Abbau von Schriftformerfordernissen, zum Beispiel bei Befristungen.
  • Weiterhin soll der Arbeitsschutz verbessert werden, insbesondere für besonders belastete Berufsgruppen wie Berufskraftfahrer.
  • Die Prävention psychischer Erkrankungen soll verbessert und das Betriebliche Eingliederungsmanagement bekannter gemacht werden.
  • Darüber hinaus sieht der Koalitionsvertrag eine Reform des Statusfeststellungsverfahrens vor, die zu einer größeren Rechtssicherheit für Selbständige und ihre Auftraggeber führen soll.

FAQ