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Nachhaltigkeitskooperationen im Kartellrecht

Das europäische Kartellrecht bietet einen etablierten Rahmen, um die unternehmerische Zusammenarbeit in Form von Wettbewerberkooperationen rechtssicher zu gestalten. Dem Ziel der Nachhaltigkeitsförderung kommt dabei eine wachsende Bedeutung zu, die sich auch bereits in der Praxis der Kartellbehörden widerspiegelt.

Das Wichtigste in Kürze:

  1. Nachhaltigkeitskooperationen zwischen Wettbewerbern sind an (europäischem) Kartellrecht zu messen. Die Bewertung erfolgt grundsätzlich im Wege der den zusammenarbeitswilligen Unternehmen überantworteten Selbsteinschätzung.
  2. Das EU-Recht verfügt über weitgehend etablierte kartellrechtliche Grundsätze für die ausnahmsweise zulässige Zusammenarbeit konkurrierender Unternehmen, die zugunsten der Nachhaltigkeitsförderung erweitert wurden.
  3. Wettbewerbsbeschränkungen sind gleichwohl auf das für das Nachhaltigkeitsziel zwingend notwendige Maß zu reduzieren. Es ist daher von herausragender Bedeutung, bereits frühzeitig bei der Planung und Ausgestaltung einer Nachhaltigkeitskooperation ein sensibles Augenmerk auf das Thema zu legen, um dem Projekt den kartellrechtlichen Segen zu sichern.

Für weitere Informationen und Einzelheiten zu unserer rechtlichen Begleitung der Nachhaltigkeitskooperation Euro Plant Tray siehe unsere Mandanteninformation „Wichtige Entwicklungen im deutschen Kartellrecht im 1. Halbjahr 2024“

Bedeutung des Kartellrechts für die Nachhaltigkeitsförderung

Trotz des hehren Zieles der Nachhaltigkeitsförderung sind jegliche Formen der Zusammenarbeit unter Wettbewerbern an den kartellrechtlichen Rahmenbedingungen zu messen. Im Falle grenzüberschreitender Auswirkungen findet das europäische Kartellrecht Anwendung, das auch das nationale Kartellrecht maßgeblich prägt.

Sofern nicht die (Aufgreif-)Schwellen der Fusionskontrolle erreicht werden, ist die erforderliche rechtliche Prüfung im Wege der sog. Selbsteinschätzung vorzunehmen, also in die Verantwortlichkeit der zusammenarbeitswilligen Unternehmen gelegt. Mit anderen Worten: eine Freigabe oder Genehmigung ist nicht erforderlich.

Ver­einbarungen zwischen Unternehmen, die den Wettbewerb beschränken, sind grundsätzlich verboten, können aber je nach dem Ergebnis einer kartellrechtlichen Prüfung als freigestellt betrachtet werden.

Nur Vereinbarungen zwischen Unternehmen, die auf Nachhaltigkeit abzielen, ohne eine Wettbewerbsbeschränkung zu bezwecken oder zu bewirken, sind unproblematisch zulässig, wenn sie also keine negativen Auswirkungen auf Wettbewerbsparameter wie Preis, Menge, Qualität, Auswahl oder Innovation haben. Mangels Wettbewerbsbeschränkung in der Praxis meist unproblematisch sind daher Vereinbarungen über technische Normen oder Gütezeichen, wenn diese im Wege eines transparenten Verfahrens entwickelt wurden, nur Mindest-Standards gesetzt werden, die zudem nicht bindend sind, und keine Mindest­preise festgelegt werden. Auch gewisse Marketingmaßnahmen sind ohne Weiteres möglich, etwa die Organisation einer branchenweiten Sensibilisierungskampagne für Umweltauswirkungen, sofern es sich nicht um gemeinsame Werbung von Wettbewerbern für bestimmte Produkte handelt.

Kartellrechtliche Fragestellungen bei Nachhaltigkeitsprojekten

Wenn eine Wettbewerbsbeschränkung vorliegt, können die Unternehmen geltend machen, dass ihr Projekt wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Zielen dient, die den Nachteilen der Wettbewerbsbeschränkung vorgehen, und dieses somit kartellrechtlich zulässig ist. Für diese sog. Freistellung muss die Vereinbarung zur Verbesserung der Warener­zeugung oder -verteilung oder zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts bei­tragen und die Verbraucher an dem entstehenden Gewinn angemessen beteiligen.

Die Europäische Kommission hat neue Leitlinien zur entsprechenden kartellrechtlichen Bewertung von Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit veröffentlicht (Horizontalleitlinien). Die Horizontalleitlinien enthalten erstmals Hilfestellungen zum Umgang mit Nachhaltigkeitsinitiativen. Soweit konkurrierende Unternehmen mit ihrer Zusammenarbeit Nachhaltigkeitsziele im Kontext gemeinsamer F&E-­, Produktion­, Einkauf oder Spezialisierung verfolgen, gehen weiterhin die hierfür etablierten kartellrechtlichen Rahmenbedingungen vor.

  • Effizienzgewinne: Die nachzuweisende Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung oder Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts drückt sich im Wesentlichen durch objektive Effizienzgewinne aus. Darunter sind klassisch die Senkung der Produktions- und Vertriebskosten, aber auch die Erhöhung der Produktvielfalt und -qualität, eine Verbesserung der Produktions- oder Vertriebsverfahren oder eine Steigerung der Innovation zu verstehen. Anerkannt werden soll nun aber auch ein breites Spektrum von Nachhaltigkeitsvorteilen, die sich zum Beispiel aus der Verwendung bestimmter Inhaltsstoffe, Technologien und Produktionsverfahren ergeben, etwa der Einsatz sauberer Produktions- oder Vertriebstechnologien, verbesserte Produktions- und Vertriebsbedingungen oder widerstandsfähigere Infrastrukturen.
  • Nachhaltigkeitsbegriff: Dieser ist in der Theorie denkbar weit. Er umfasst (nicht abschließend) die Bekämpfung des Klimawandels, die Vermeidung von Umweltverschmutzung, die Begrenzung der Nutzung natürlicher Ressourcen, den Schutz der Menschenrechte, die Gewährleistung eines existenzsichernden Einkommens, die Förderung einer widerstandsfähigen Infrastruktur und von Innovationen, die Verringerung der Nahrungsmittelverschwendung, die Erleichterung des Übergangs zu gesunden und nährstoffreichen Nahrungsmitteln und die Gewährleistung des Tierschutzes.
  • Nachweis der Effizienzgewinne: In der Praxis kann der erforderliche objektive, konkrete und nachprüfbare Beleg für solche Effizienzgewinne durchaus herausfordernd sein. Besteht ein angeführter Effizienzgewinn beispielsweise in einer Produktverbesserung, sollen die genauen Merkmale der Produktverbesserung aufgezeigt werden. Handelt es sich etwa um die Verringerung der Wasserverschmutzung, muss belegt werden, wie genau die Vereinbarung zur Verringerung der Wasserverschmutzung beiträgt, und eine Schätzung des Ausmaßes des geltend gemachten Vorteils vorhanden sein.

Weitere wesentliche Kriterien für Nachhaltigkeitskooperationen

Die Vermeidung von Wettbewerbsbeschränkungen ist für ein rechtssicher gestaltetes Projekt nicht ausschlaggebend, wohl aber deren Reduzierung auf das für das Nachhaltigkeitsziel zwingend notwendige Maß. Als weitere wesentliche Kriterien, die je nach Fallgestaltung zu gewichten sind, haben sich jedenfalls die folgenden Parameter herausgebildet:

  • Zulässigkeit der Teilnahme der kooperierenden Unternehmen auch an weiteren Nachhaltigkeitsinitiativen
  • Auf das erforderliche Maß begrenzter Austausch wettbewerblich sensibler Informationen
  • Auch weitere Wettbewerbsbeschränkungen nur im unbedingt erforderlichen Maße
  • Transparente und offene Entwicklung von Nachhaltigkeitsstandards
  • Diskriminierungsfreier Zugang aller Marktteilnehmer bei Nachhaltigkeitsstandards
  • Zurückhaltung bei jeglichen preisbezogenen Vereinbarungen

Klassische bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen, wie Preisfestsetzungen, Markt- oder Kundenaufteilungen sowie Beschränkung der Produktion oder Innovation unter Wettbewerbern sind auch im Nachhaltigkeitskontext weiterhin nicht zulässig. Die Kartellbehörden sind angehalten, auf entsprechende Verschleierungen zu achten.

Informationsaustausch innerhalb der Nachhaltigkeitskooperation

Dem Informationsaustausch unter kooperierenden Unternehmen wird durch die Kartellbehörden schon seit geraumer Zeit ein besonderes Misstrauen entgegengebracht. Daher gilt auch bei Nachhaltigkeitskooperationen das Prinzip, dass der (ausnahmsweise) zulässige Informationsfluss auf das für die Zielerreichung zwingend notwendige Maß zu beschränken ist. Beim Austausch unternehmensindividueller und strategischer Daten sind Sicherheitsvorkehrungen durch geeignete personelle, organisatorische und sonstige operative Maßnahmen zu treffen. Auch die Art der Informationen ist in den Blick zu nehmen, so dass sich anbieten kann, Daten so akkumuliert und aggregiert wie möglich zu behandeln. Schließlich kann auch die Datensammlung und Rückmeldung über neutrale Dritte ein geeignetes Mittel sein, um dem Gesamtprojekt den kartellrechtlichen Segen zu sichern.

Ausdrücklich erachtet die EU-Kommission beispielsweise den Austausch über nicht-nachhaltige Lieferanten als zulässig, d.h. dieser soll von vornherein nicht in den Anwendungsbereich des Kartellverbots fallen. Die Entstehung eines Marktinformationssystems ist demgegenüber nicht durch die Nachhaltigkeitsziele zu rechtfertigen und wäre unabhängig davon nach den dafür etablierten kartellrechtlichen Grundsätzen zu bewerten.

Anwendungspraxis für Nachhaltigkeitskooperationen

Abgesehen von den dargestellten Anforderungen, die insbesondere im Hinblick auf den Nachweis der Effizienzgewinne anspruchsvoll sein können, erleichtert ein sensibles Augenmerk bereits bei der Planung und Ausgestaltung der Nachhaltigkeitskooperation ihre kartellrechtliche Zulässigkeit. In der Rechtsanwendung sollten die Durchführung und die wesentlichen Überlegungen der kartellrechtlichen Selbsteinschätzung stets sauber dokumentiert werden.

Für Unternehmen können trotz des Prinzips der Selbsteinschätzung jedenfalls in Deutschland zwei Wege zu gewissem behördlichem Segen führen.

  • Formaler Antrag nach § 32c Abs. 4 GWB: Dieser setzt ein erhebliches rechtliches und wirtschaftliches Interesse voraus und führt zu einer Entscheidung, wonach das Bundeskartellamt keinen Anlass zum Tätigwerden, etwa in Form einer Abstellungsverpflichtung, sieht.
  • Freiwillige Vorstellung eines Projektes: Diese umfasst eine Unterrichtung der Behörde über die wesentlichen Parameter und Zielsetzungen eines Projektes. Ein solches Vorgehen kann etwa unter Compliance-Gesichtspunkten für Unternehmen wünschenswert sein, muss aber aus strategischen Gründen wohlüberlegt sein. Anders als manch andere nationale Kartellbehörde verzichtet das Bundeskartellamt bislang auf eigene veröffentlichte Leitlinien, zeichnet sich aber durch eine wachsende Fallpraxis aus, und hat in der jüngeren Vergangenheit bereits eine Reihe von Nachhaltigkeitsinitiativen über diesen Weg vorgestellt bekommen und bewertet.

Sonderkonstellationen betreffend Nachhaltigkeitskooperationen

Spezielle europarechtliche Regelungen gelten für die Erzeugung von oder den Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen, sofern an den Vereinbarungen auch Erzeuger beteiligt sind. Hier lässt das neue EU-Recht als Bestandteil der gemeinsamen Marktorganisation für landwirtschaftliche Erzeugnisse (GMO) bestimmte Wettbewerbsbeschränkungen vergleichsweise großzügig zu, die darauf abzielen, einen höheren Nachhaltigkeitsstandard anzuwenden, als er durch das Unionsrecht oder nationales Recht vorgeschrieben ist. Spezifische kartellrechtliche Ausnahmen bestehen schließlich auch für die Bereiche Fischerei und Aquakultur.

Dieser Beitrag bietet eine unverbindliche Übersicht über das behandelte Themengebiet und ersetzt keine rechtliche Beratung. Für weiterführende Informationen oder eine persönliche Beratung stehen Ihnen unsere Ansprechpartner gerne zur Verfügung:

Dr. Christina Malz

Dr. Stephanie Birmanns

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