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Die DIS-Musterschiedsklausel im Gesellschaftsrecht: Anpassungsbedarf für Informationsklagen von Gesellschaftern?

Die Verwendung der Musterklauseln der Deutschen Institution für Schiedsgerichtsbarkeit e.V. ist ein beliebtes und bewährtes Mittel, um Schwierigkeiten bei der Gestaltung von Schiedsklauseln zu umschiffen und sich in ein erprobtes, institutionelles Streitbeilegungs-System "einzuklinken", gerade und insbesondere für Streitigkeiten unter Gesellschaftern. Eine jüngere Entscheidung des Landgerichts Hannover gibt Anlass, die Reichweite eines solchen "Opt-In" in die DIS-Regeln gerade im Hinblick auf Informationsansprüche der Gesellschafter zu überprüfen. Je nach individuellem Zuschnitt der Gesellschaft und Interessenlage sollte man durch Abänderung der Musterklausel klarstellend regeln, welche Streitigkeiten von der Schiedsbindung umfasst sein sollen (und welche nicht).

I. Die Vorzüge der Schiedsgerichtbarkeit in Gesellschafterstreitigkeiten

Schiedsverfahren sollen einer Streitbeilegung vor ordentlichen Gerichten bekanntlich überlegen sein, da sie Verfahren schnell, flexibel, aber gleichzeitig effizient und vertraulich erledigen und Schiedsgerichte für den Streitstoff regelmäßig über eine fachspezifische Sachkunde verfügen.

Mit diesen Attributen ist die Schiedsgerichtsbarkeit nicht nur für wirtschaftliche Streitigkeiten im weiteren Sinne bekannt und bewährt. Sie qualifiziert sich insbesondere auch für Streitigkeiten unter Gesellschaftern und erfreut sich in diesem Zusammenhang entsprechend großer Beliebtheit, und zwar über alle Gesellschaftsformen und -größen hinweg. Denn wenn Gesellschafter streiten, sollte den Beteiligten im Sinne des Unternehmenswohls an einer schnellen und sachkundigen Klärung fernab der Öffentlichkeit gelegen sein. Dies gilt insbesondere in Familienunternehmen.

Die Gestaltung von Schiedsklauseln ist dennoch ein gestalterisch kniffliges Unterfangen, schon im Allgemeinen und erst recht in Bezug auf gesellschaftsrechtliche Binnenstreitigkeiten, die sich regelmäßig in der Form von Beschlussmängelstreitigkeiten entfachen. Nachdem lange in Streit stand, ob solche Beschlussmängelstreitigkeiten in einer GmbH überhaupt vor Schiedsgerichten ausgetragen werden können, hatte der Bundesgerichtshof (BGH) erst im Jahr 2009 eine Schiedsbarkeit bejaht, unter der Voraussetzung, dass das Schiedsverfahren gewisse rechtsstaatliche Bedingungen erfüllt, für die bereits die Schiedsklausel Sorge tragen muss (sog. "Schiedsfähigkeit"-Rechtsprechung). Andernfalls ist sie nichtig und ein – möglicherweise bereits angelaufenes – Schiedsverfahren hinfällig.

Die Einhaltung dieser Grundsätze – die sog. "Mindestvoraussetzungen" – hat die Komplexität bei der Gestaltung entsprechender Schiedsklauseln nochmals deutlich erhöht. Die Gestaltungspraxis greift im gesellschaftsrechtlichen Kontext daher regelmäßig auf Musterklauseln zurück, die von verschiedenen Schiedsinstitutionen (in Deutschland die DIS, in der Schweiz das Swiss Arbitration Centre mit ihrer jüngst erschienenen "Ergänzenden Schiedsordnung für gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten") nach eben diesen Erfordernissen der Rechtsprechung entwickelt und verprobt wurden und dem Anwender durch einen "Opt-In" in das jeweilige Regelwerk den Aufwand abnehmen, eine eigene Verfahrensordnung zu entwerfen. Wägt man vor diesem Hintergrund Aufwand und die Gestaltungsrisiken eines "eigenen" Schiedsverfahrens mit den Kosten eines institutionell administrierten Schiedsverfahrens ab, ist die Verwendung von Musterklauseln in den allermeisten Fällen der state of the art.

Eine aktuelle Entscheidung des Landgerichts Hannover macht gleichwohl deutlich, dass auch der Verwender von Musterklauseln, in diesem Fall der Deutschen Institution für Schiedsgerichtsbarkeit e.V. ("DIS"), nicht restlos vor gestalterischen Unsicherheiten gefeit bzw. gut beraten ist, das Muster im Einzelnen zu durchdenken und ggf. durch Modifikationen auf die konkrete Gesellschaft "maßzuschneidern". Denn möglicherweise ist nicht jede Gesellschaft und Gesellschafterstreitigkeit für die Schiedsbarkeit geeignet.

II. LG Hannover, Beschluss vom 10. August 2022 – Az. 23 O 77/22

1. Sachverhalt

Die Parteien hatten in ihre Satzung eine Schiedsklausel aufgenommen, die eben dieser "Musterklausel für den Gesellschaftsvertrag für Schiedsverfahren nach den Ergänzenden Regeln für gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten" entsprach, die die DIS nach den BGH-Vorgaben für Beschlussmängelstreitigkeiten erarbeitet hatte. Sie lautete auszugsweise:

„(1) Alle Streitigkeiten zwischen Gesellschaftern oder zwischen der Gesellschaft und ihren Gesellschaftern im Zusammenhang mit diesem Gesellschaftsvertrag oder über dessen Gültigkeit werden nach der Schiedsgerichtsordnung und den Ergänzenden Regeln für gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten (DIS-ERGeS) der Deutschen Institution für Schiedsgerichtsbarkeit e.V. (DIS) unter Ausschluss des ordentlichen Rechtswegs endgültig entschieden. […]“

In der Sache standen aber keine Beschlussmängel in Streit, sondern Informationsansprüche eines (Minderheits-) Gesellschafters nach § 51a GmbHG. Der Antragsteller hatte diese Ansprüche – trotz der Schiedsklausel – vor dem Landgericht geltend gemacht, und argumentiert, es handle sich bei solchen Auskunftsansprüchen nicht um vertragliche, sondern um gesetzliche Ansprüche aus § 51a GmbHG. Dementsprechend seien diese Ansprüche – da nicht "im Zusammenhang mit diesem Gesellschaftsvertrag“ stehend – nicht von der Schiedsklausel erfasst.

Die Antragsgegnerin sah das anders und erhob den Einwand der Schiedsabrede.

Das Landgericht hatte damit über die Auslegungsfrage entscheiden, ob es sich bei Informationsansprüchen nach § 51a GmbHG um Streitigkeiten „im Zusammenhang mit diesem Gesellschaftsvertrag“ handelt, die schiedsgebunden sind oder nicht. Die besondere Brisanz liegt dabei darin, dass es sich eben um die DIS-Musterklausel handelte, so dass der Befund des LG Hannover über den Einzelfall hinaus interessant ist.

2. Entscheidung

Das LG Hannover nahm im Ergebnis an, dass auch Informationsverfahren nach den §§ 51a ff. GmbHG von der (Muster-)Schiedsklausel erfasst sind und wies die Klage entsprechend als unzulässig ab – mit zwei Argumenten:

Zum einen stünden solche Informationsansprüche im Zusammenhang mit dem Gesellschaftsvertrag und seien von diesem nicht zu trennen; auch gesetzliche Ansprüche hätten, so das Landgericht, "ihre Grundlage im Gesellschaftsvertrag". Zum anderen lasse die Verwendung der Musterklausel darauf schließen, dass die Beteiligten "alle gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten auf schiedsgerichtlichem Weg regeln wollten".

3. Würdigung & Hinweise für die Praxis

Die Folgerung des Landgerichts Hannover ist auf den ersten Blick konsequent und stimmig. Sie fügt sich in die erfreuliche Tendenz der Rechtsprechung, Schiedsklauseln grundsätzlich weit auszulegen, im Zweifel zu einer Schiedsbindung zu neigen (in dubio pro arbitris) und dadurch bei unklaren Auslegungsfragen eine Rechtswegspaltung zu vermeiden.

Gleichzeitig zeigt der Beschluss (wie auch der Umstand, dass überhaupt gestritten wurde), dass selbst die DIS-Musterklausel Raum für Unklarheit und Streit lässt, indem sie ausdrücklich am Gesellschaftsvertrag anknüpft ("im Zusammenhang mit diesem Gesellschaftsvertrag"). Dieser enge Vertragsbezug provoziert jedenfalls bei einem engen Wortlautverständnis die Argumentation, dass Streitigkeiten über nicht-vertragliche, also gesetzliche Ansprüche nicht von der Schiedsbindung umfasst sind. Das betrifft nicht nur das vor dem LG Hannover streitige Informationsrecht aus § 51a GmbHG, sondern – je nach Satzungsregelung – etwa Gewinnansprüche (§ 29 GmbHG). Aber auch im Übrigen verbleiben Unklarheiten. Auch Ansprüche, die den Gesellschaftsvertrag flankieren und regelmäßig zusammen mit Beschlussmängelklagen geltend gemacht werden, beispielsweise aus Gesellschafterdarlehensverträgen, stünden wohl nicht "im Zusammenhang mit diesem Gesellschaftsvertrag" und wären daher im Streitfalle nicht von der Schiedsklausel umfasst. Dessen Folge ist eine aufwendige Rechtswegspaltung, die eigentlich von keinem der Beteiligten gewollt sein kann, im Streitfall aber natürlich als Lästigkeitswert in Stellung gebracht wird.

Soweit der Beschluss des LG Hannover in der Fachliteratur bislang überhaupt zur Sprache kam, wurde daher die Empfehlung ausgesprochen, die gesellschaftsrechtliche Musterklausel der DIS um die Klarstellung zu ergänzen, dass alle Ansprüche "im Zusammenhang mit dem Gesellschaftsverhältnis" und daher auch "gesetzliche Ansprüche" umfasst sind.

"Alle Streitigkeiten zwischen Gesellschaftern oder zwischen der Gesellschaft und ihren Gesellschaftern im Zusammenhang mit dem Gesellschaftsverhältnis und diesem Gesellschaftsvertrag (einschließlich gesetzlicher Ansprüche) oder über dessen Gültigkeit werden nach der Schiedsgerichtsordnung und den Ergänzenden Regeln für gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten (DIS-ERGeS) der Deutschen Institution für Schiedsgerichtsbarkeit e.V. (DIS) unter Ausschluss des ordentlichen Rechtswegs endgültig entschieden".

Eine Klarstellung ist sicherlich sinnvoll. Damit ist aber noch nicht gesagt, in welche Richtung, also in Richtung der Schiedsgerichte oder in Richtung der ordentlichen Gerichte. Gerade für Informationsansprüche nach § 51a GmbHG sprechen gute Gründe dafür, entsprechende Klagen vor ordentlichen Gerichten zu belassen und auszufechten. Denn in diesen Verfahren dürften die Unique Selling Positions der Schiedsgerichtsbarkeit ("schneller, kostengünstiger, höherer Sachverstand, vertraulich") kaum zum Tragen kommen:

• "kostengünstiger"? Informationsklagen wird vor ordentlichen Gerichten regelmäßig der sog. allg. Geschäftswert von EUR 5.000 zugemessen (§§ 79 Abs. 1, 36 Abs. 3 GNotKG), der zu entsprechend geringen Gerichtsgebühren führt.

• "vertraulich"? Das Verfahren vor den ordentlichen Gerichten wird in aller Regel rein schriftlich durchgeführt. Es besteht zwar die Option einer mündlichen Verhandlung. Diese Option wird von den Gerichten aber in aller Regel nicht wahrgenommen.

• "höherer Sachverstand"? Die Informationsansprüche eines Gesellschafters haben nur geringe Voraussetzungen und weisen in aller Regel keine besonderen rechtlichen Schwierigkeiten auf, die der speziellen Expertise eines Schiedsgerichts bedürften.

• "schneller"? Rechtsmittel gegen gerichtliche Beschlüsse in Informationsklageverfahren bestehen nur, wenn das Gericht sie zulässt. Eine solche Zulassung, die einer "Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung“ bedarf bzw. "zur Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung“ erforderlich sein muss (§ 70 Abs. 2 FamFG), ist in der Praxis äußerst selten. De facto haben Informationsklageverfahren vor ordentlichen Gerichten damit von vornherein nur eine einzige Instanz.

Den vielleicht entscheidenden Vorteil bieten ordentliche Gerichte aber durch ihr "Vollstreckungsmonopol". Während ein Schiedsurteil durch Antrag zum Oberlandesgericht zunächst für vollstreckbar zu erklären ist (§ 1060 ZPO), bleibt das Verfahren vor ordentlichen Gerichten beim Landgericht, welches nicht nur im Erkenntnisverfahren, sondern auch als Vollstreckungsorgan tätig wird und den Informationsanspruch, soweit eine Auskunft geschuldet ist, durch Anordnung von Zwangsmitteln vollstreckt (§ 888 ZPO). Es wird vor ordentlichen Gerichten also gewissermaßen "aus einer Hand" entschieden und vollstreckt, und das regelmäßig unter dem gleichen Aktenzeichen, was eine vergleichsweise unkomplizierte und schnelle Rechtsdurchsetzung erlaubt. Und eben das ist für Informationsverfahren entscheidend, da gesellschafts- und unternehmensbezogene Informationen oftmals nur eine sehr kurze Halbwertszeit haben.

All diese Überlegungen zeigen: Eine Klarstellung bzw. Modifikation der DIS Musterklausel erscheint in vielen Situation zweifellos geboten. Es will aber gut überlegt sein, ob und welche "nicht-gesellschaftsvertraglichen" Ansprüche einer Schiedsbindung unterworfen werden und welche nicht. Es spricht vieles dafür, jedenfalls Informationsansprüche eines Gesellschafters – unabhängig von der Rechtsform – von einer Schiedsbindung auszunehmen. Welche Richtung eingeschlagen wird, mag nicht zuletzt aber auch davon abhängen, welchen Stellenwert man dem Minderheitenschutz einräumen will. In jedem Fall will aber jede Änderung der DIS-Musterklausel sorgfältig formuliert und anwaltlich abgestimmt sein. Die Anrufung des jeweils „falschen“ Gerichts kann im Einzelfall erhebliche Konsequenzen haben und sollte durch fundierte Beratung vermieden werden.

Nach der jüngsten Entscheidung des LG Hannover dürften allemal klar sein, dass in der DIS-Musterklausel – und damit in den Schiedsklauseln zahlloser Gesellschaftsverträge und Satzungen – gewisse latente Unklarheitsrisiken schlummern, die es auszuräumen gilt.

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