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Kinder-Lebensmittel-Werbegesetz: Weitreichendes Werbeverbot für fett-, zucker- und salzhaltige Lebensmittel?

Nach dem aktuellen Entwurf eines Gesetzes zum Schutz von Kindern vor Werbung für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- und/oder Salzgehalt soll die an Kinder gerichtete Werbung für diese Lebensmittel weitreichend verboten werden. Jedes Unternehmen aus der Lebensmittel- und Werbeindustrie sowie der Handel ist daher gut beraten, das Gesetzesvorhaben genau zu verfolgen und sich auf Verbote insbesondere der an Kinder gerichteten Werbung vorzubereiten.

Die Bedeutung dieses Gesetzesvorhabens für die Lebensmittelindustrie und die sich hieran anschließenden Industrien kann kaum überschätzt werden. Nach dem aktuellen Entwurf wären laut mehreren Erhebungen ca. 60% bis 70% aller Lebensmittel betroffen, ebenso wie nahezu alle Werbeträger. Selbst Werbung, die sich nicht nur, aber auch an Kinder richtet, könnte nach dem Gesetzesvorhaben in weitem Umfang verboten sein, so etwa die Sportberichterstattung, TV-Unterhaltungsformate und Werbung während bestimmter Sendezeiten, darunter der Prime-Time. Jedes Unternehmen aus der Lebensmittel- und Werbeindustrie sowie der Handel ist daher gut beraten, das Gesetzesvorhaben genau zu verfolgen und sich auf Verbote insbesondere der an Kinder gerichteten Werbung vorzubereiten.

I. Hintergrund des Gesetzesvorhabens

Übergewichtigkeit ist ein wissenschaftlich anerkanntes Gesundheitsrisiko. Der übermäßige Verzehr besonders zucker-, fett- und / oder salzhaltiger Lebensmittel kann ernährungsbedingte Erkrankungen verursachen. Aktuellen Studien nach nimmt die Übergewichtigkeit in den vergangenen Jahren insbesondere bei Kindern und Jugendlichen stetig zu. Mitursache ist der Verzehr besonders zucker-, fett- und / oder salzhaltiger Lebensmittel, gefördert durch entsprechende Lebensmittelwerbung. Kinder wiederum sind besonders empfänglich für Werbung, im Umgang mit dieser aber regelmäßig unerfahren.

II. Überblick: Derzeitige rechtliche Ausgangslage in Deutschland

Die amtierende Ampelkoalition will das Recht zur an unter 14-Jährige Kinder gerichteten Werbung für fett-, zucker- und salzhaltige Lebensmittel einschränken. Dies hat sie in ihrem Koalitionsvertrag aus dem Jahr 2021 festgehalten. Zur Umsetzung dieses Koalitionsvorhabens arbeitet das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft an einem Gesetz zum Schutz von Kindern vor Werbung für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- oder Salzgehalt („KLWG-Entwurf“ und „KLWG-E“). Im laufenden Jahr wurden erste, offiziell noch unveröffentlichte Referentenentwürfe zu diesem KLWG bekannt. Der aktuellste Entwurf stammt vom 28. Juni 2023.

III. Gesetzesentwurf

Der KLWG-Entwurf enthält umfassende und weitreichende Werbeverbote.

1. Welche Lebensmittel sind betroffen?

Laut einiger Erhebungen, deren Ergebnisse nur im Detail variieren, wären ca. 60% bis 70% aller Lebensmittel von den Werbeverboten des KLWG-Entwurfs erfasst. Die betroffenen Lebensmittel sollen in einer Anlage zum KLWG zusammengefasst werden. Entscheidend sind je nach Lebensmittelkategorie Kriterien wie der Zucker-, Salz- und Fettanteil der Produkte (§ 4 KLWG-E). Dabei orientiert sich der Gesetzgeber an Modellen der Weltgesundheitsorganisation (WHO).

2. Welche Werbeträger sind erfasst?

Nach derzeitigem KLWG-Entwurf richten sich die Werbeverbote an nahezu alle wesentlichen Werbeträger. Werbung im Hörfunk, im Fernsehen, in Printmedien und auf Plakaten soll ebenso erfasst sein wie Werbung in sozialen Medien (Instagram, TikTok etc.), in On-Demand-Angeboten (Netflix etc.) und Video-Sharing-Plattformen (YouTube etc.), §§ 4 Abs. 1, 3 Nr. 4 KLWG E. Ebenso betroffen wäre das Sponsoring (§§ 4 Abs. 3, 3 Nr. 9 KLWG E). Die Produktverpackung selbst wird vom Werbeverbot jedoch nicht erfasst.

3. Für wen gelten die Werbeverbote?

Die Werbeverbote richten sich nach derzeitigem KLWG-Entwurf sowohl an die Lebensmittelunternehmen (etwa Hersteller schokoladenhaltiger Produkte) als auch an jede Person, die Werbung oder Sponsoring im Sinne des KLWG betreibt (§ 2 KLWG E). Erfasst wären daher Lebensmittelkonzerne, Medienunternehmen und bspw. Influencer sowie der Handel, der die Produkte werbend vertreibt.

Zwischenergebnis: Nach Schätzungen wären von den neuen Werbeverboten ca. 60% bis 70% aller Lebensmittel betroffen. Die Werbeverbote treffen nahezu alle Werbeträger und richten sich unter anderem an Lebensmittel- und Medienunternehmen sowie werbende Einzelpersonen.

4. Welche Werbungen sind erfasst?

Die Werbeverbote reichen sehr weit (§§ 3 Nr. 4, 4 Abs. 1, 2 KLWG E). Nicht nur Werbung, die sich nach Art, Inhalt oder Gestaltung unmittelbar an Kinder richtet, soll erfasst sein, sondern auch Werbung, die sich nach dem zeitlichen, räumlichen oder inhaltlichen Zusammenhang an Kinder richten kann. Das bedeutet:

a. Art, Inhalt oder Gestaltung

Werbung, die sich nach Art, Inhalt oder Gestaltung an unter 14-Jährige Kinder richtet, soll gemäß § 4 Abs. 1, Abs. 3 KLWG E unter anderem vorliegen, wenn

• Kinder in der Werbung bildlich dargestellt werden (§ 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 KLWG E),

• kinderspezifische Figuren und Symbole genutzt werden (§ 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 KLWG E),

• eine für Kinder typische Situation oder Örtlichkeit in der bildlichen Gestaltung enthalten ist, bspw. der Schulhof, (§ 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 KLWG E) und / oder

• eine Kinder ansprechende Darstellung des Produkts enthalten ist (§ 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 KLWG E).

b. Zeitlicher, räumlicher oder inhaltlicher Zusammenhang

Die Werbeverbote des KLWG-Entwurfs erfassen jedoch nicht nur Werbung, die sich nach Art, Inhalt oder Gestaltung unmittelbar an Kinder richtet. Ebenso erfasst wird Werbung, die sich nur nach dem zeitlichen, räumlichen oder inhaltlichen Zusammenhang an Kinder richtet (§ 4 Abs. 2 KLWG E).

Zeitlich. Ein zeitlicher Zusammenhang soll bestehen, wenn während bestimmter festgelegter Sendezeiten Werbung ausgestrahlt wird. Ganzwöchig dürften während der sog. Prime-Time im TV grundsätzlich keine Werbung für Lebensmittel ausgestrahlt werden, die vom KLWG betroffen sind, bspw. Werbung für schokoladenhaltige Produkte oder zuckerhaltige Erfrischungsgetränke. Ob sich die Werbung in diesem Fall nach ihrer Gestaltung, ihrer Art oder ihrem Inhalt an Kinder richtet, wäre insoweit unerheblich.

Inhaltlich. Werbeformate, die sich nach ihrem inhaltlichen Kontext zumindest auch an Kinder richten können, wären unabhängig von ihrer Art, ihrer Gestaltung oder ihrem konkreten Inhalt vom Werbeverbot erfasst. Das würde etwa die Sportberichterstattung und Unterhaltungsformate umfassen – und zwar unabhängig davon, zu welcher Uhrzeit diese Formate ausgestrahlt werden sollen.

Räumlich. Auch Werbung für die betreffenden Lebensmittel im Umkreis von 100 Metern zu Schulen, Kindergärten oder Kitas wäre verboten. Insbesondere die Außenwerbung wäre dadurch erheblich eingeschränkt, zumal es für Adressaten der Werbeverbote im Einzelnen schwer sein dürfte, den Standort aller Kitas, Schulen und ähnlicher Kindereinrichtungen in einem bestimmten Stadtgebiet zu ermitteln.

5. Was sind die Folgen des Verstoßes gegen die Werbeverbote?

Verstöße gegen die Werbeverbote des KLWG-Entwurfs sollen Bußgelder bis zu max. 30.000,- EUR nach sich ziehen können (§ 8 KLWG E). Ebenfalls drohen Abmahnungen bis hin zu Klagen, insbesondere von Wettbewerbsverbänden und Verbraucherschutzorganisationen (§ 6 KLWG E iVm. UWG).

IV. Einordnung und Ausblick

So nachvollziehbar das Gesetzesvorhaben nach seiner Zweckrichtung ist, so einschneidend ist es für den wichtigen Industriezweig der Lebensmittelindustrie und der sich daran anschließenden Wirtschaftszweige, etwa den Einzelhandel- und Medienunternehmen.

Würde der derzeitige Gesetzesentwurf zu Gesetz, hätte dies gravierende Auswirkungen für die Lebensmittel- und Werbeindustrie sowie den Handel. Ca. 60% bis 70% aller Lebensmittel sowie ein Großteil der derzeitigen Werbung wären betroffen, gerade auch solche Werbung, die sich zwar nicht unmittelbar nach ihrer Gestaltung oder ihrer Art, aber etwa nach ihrem zeitlichen Kontext (die wesentlichen Sendezeiten) oder nach ihrem inhaltlichen Kontext (etwa im Zusammenhang mit Unterhaltungsformaten wie Wetten dass..? und der Sportberichterstattung) auch an Kinder richten können.

Es bleibt zu bezweifeln, dass der derzeitige Gesetzesentwurf unverändert Gesetz wird. In der Koalition zeichnet sich Widerstand gegen das Vorhaben ab. So äußerten sich unter anderem Wolfgang Kubicki (FDP) und Lars Klingbeil (SPD) zurückhaltend bis kritisch. Auch die Lebensmittel- und Werbewirtschaft ist alarmiert.

Ungeachtet dessen sind insbesondere Lebensmittel- und Medienunternehmen gut beraten, das Gesetzesvorhaben genau zu verfolgen und sich auf künftige Werbeverbote vorzubereiten.

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