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Koalitionsvertrag: Gesetzesvorhaben in den Bereichen Unternehmens- und Gesellschaftsrecht, Compliance und ESG – Überblick

Im Koalitionsvertrag vom 9. April 2025 finden sich zahlreiche Vorhaben im Gesellschafts- und Unternehmensrecht – von Reformen im AGB- und Aktienrecht bis hin zu ESG-Regulierung und Bürokratieabbau. Andere Themen wie Delisting, SE oder Mitbestimmung bleiben dagegen unberücksichtigt

Sechs Wochen nach der Bundestagswahl haben sich die Unionsparteien und die SPD auf ein Regierungsprogramm verständigt. Im Koalitionsvertrag vom 9. April 2025 sind auch eine Reihe von Maßnahmen im Bereich des Gesellschafts- und Unternehmensrechts enthalten. Die Spannweite reicht von einer auf große Kapitalgesellschaften beschränkten Reform des AGB-Rechts über die Reform des aktienrechtlichen Beschlussmängelrechts, die Einführung einer Gesellschaft mit gebundenem Vermögen und der Reform des Genossenschaftsrechts bis zu Vorhaben zum Bürokratieabbau, hier insbesondere im Hinblick auf die derzeit mit Nachdruck verfolgten „Omnibus"-Vorschläge der EU-Kommission betreffend die Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD) und das Lieferkettenrecht (CSDDD). Keine Erwähnung finden hingegen weitere Vorhaben zum Delisting und dem Zukunftsfinanzierungsgesetz II. Auch zum Recht der Hauptversammlung in der AG, zur Rechtsform der SE und – wenig überraschend – zur unternehmerischen Mitbestimmung finden sich keine näheren Vorhaben. Nachstehend finden Sie einen kurzen Überblick über die entsprechenden Passagen des Koalitionsvertrags, fokussiert auf das Unternehmens- und Gesellschaftsrecht:

Reform des aktienrechtlichen Beschlussmängelrechts

„Wir reformieren das aktienrechtliche Beschlussmängelrecht zur Stärkung der Rechtssicherheit und Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Deutschland und dämmen dabei Missbrauchsmöglichkeiten ein.“ (Rz. 2812 ff.)

Dass das geltende aktienrechtliche Beschlussmängelrecht dringend reformiert werden sollte, dürfte in Wissenschaft und Praxis gleichermaßen unbestritten sein. Sieben Jahre nachdem ein solcher Reformbedarf auf dem 72. Deutschen Juristentag mit überwältigender Mehrheit festgestellt wurde, beabsichtigt die künftige Bundesregierung nun, sich diesem Vorhaben anzunehmen.

Auftrieb hatte die Diskussion in jüngster Zeit wieder durch die „Vorschläge für eine große Aktienrechtsreform“ erhalten, die ein von der wissenschaftlichen Vereinigung für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht (VGR) getragener Arbeitskreis erarbeitet hatte. Ein derart umfassendes Reformpaket des Aktienrechts, wie es dort vorgeschlagen wird (insbesondere auch zur Reform des Hauptversammlungsrechts), ist im Koalitionsvertrag ebenso wenig vorgesehen wie konkrete Vorstellungen zur Umsetzung einer solchen Reform.

Dessen ungeachtet ist es begrüßenswert, dass die künftige Koalition sich diesem Projekt an prominenter Stelle in ihrem Koalitionsvertrag verschrieben hat. Es bleibt gespannt abzuwarten, auf welchem Wege die Koalition das hehre Ziel der Eindämmung von Missbrauchsmöglichkeiten im Rahmen des aktienrechtlichen Beschlussmängelrechts zu verfolgen sucht.

Einführung einer Gesellschaft mit gebundenem Vermögen und Reform des Genossenschaftsrechts

„Wir modernisieren das Recht der Genossenschaften und wollen eine neue, eigenständige Rechtsform „Gesellschaft mit gebundenem Vermögen“ einführen. Merkmale dieser Rechtsform sind die unabänderliche Vermögensbindung und die Teilhabe nach mitgliedschaftlicher Logik ohne steuerliche Privilegierungen oder Diskriminierungen.“ (Rz. 2816 ff.)

Bereits die Ampelkoalition hatte in ihrem Koalitionsvertrag die Verbesserung der rechtlichen Rahmenbedingungen für Genossenschaften vorgesehen; ihr im Januar 2025 vorgelegter Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der genossenschaftlichen Rechtsform wurde jedoch nicht mehr verabschiedet. In welche Richtung die Modernisierung des Rechts der Genossenschaften angestrebt wird, lässt der Koalitionsvertrag offen. Mit Blick auf den jüngsten Gesetzentwurf, aber auch mit Blick auf die aktuelle rechtspolitische Diskussion dürften allerdings Themen wie Digitalisierung und Steigerung der Attraktivität der genossenschaftlichen Rechtsform (etwa durch eine Beschleunigung ihrer Gründung), aber auch Plattformökonomie und Blockchain-Technologie auf der Agenda stehen.

Auch das Vorhaben der Einführung einer neuen Gesellschaftsform mit gebundenem Vermögen war bereits im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP vorgesehen. Kern des Anliegens ist es, insbesondere für Familienunternehmen eine Rechtsform zu schaffen, die die langfristige Selbstständigkeit und Unternehmensverantwortung von der Eigentümerfamilie abkoppelt und treuhänderischen Gesellschaftern zuweist, die aktiv im Unternehmen tätig sind, ohne jedoch am Gewinn und Wert des Unternehmens beteiligt zu sein.

Man darf gespannt sein, wie dieses Konzept des treuhänderischen Unternehmertums umgesetzt wird. Eine akademische Arbeitsgruppe hatte hierzu bereits 2020 einen Gesetzentwurf zur Umsetzung dieses Konzepts als Sonderform einer GmbH – die „GmbH in Verantwortungseigentum“ – erarbeitet, der 2021 zur „GmbH mit gebundenem Vermögen“ weiterentwickelt wurde. Mit dem jüngsten Entwurf für ein „Gesetz zur Einführung einer Gesellschaft mit gebundenem Vermögen“ aus September 2024 steht nun aber auch zur Debatte, das Konzept nicht als Sonderform einer GmbH, sondern als vollständig eigene Rechtsform umzusetzen. Auch der Koalitionsvertrag neigt zu einer Umsetzung des Konzepts als neue, eigenständige Rechtsform.

Bürokratieabbau und Vermeidung unnötiger Belastungen, insbesondere im Hinblick auf ESG-nahe Regelwerke

„Wir wirken darauf hin, dass die von der EU-Ebene ausgehende Bürokratie umfassend und wirkungsorientiert zurückgebaut wird. Wir unterstützen die EU-Kommission beim Bürokratierückbau und fordern höhere Ambitionen (zum Beispiel „One in, two out“-Regelung, Reduzierung von Anpassungs- und Verwaltungskosten um mindestens 25 Prozent beziehungsweise 35 Prozent bei kleinen und mittleren Unternehmen. Die Bundesregierung wird sich bei jedem EU-Dossier für Bürokratierückbau und Bürokratievermeidung einsetzen und in den EU-Ratsarbeitsgruppen und Komitologieausschüssen eine aktive Rolle einnehmen.

Unnötige Belastungen durch die europäische Ebene verhindern wir. Dazu gehört, dass die Entwaldungsverordnung (EUDR) durch die Einführung der „Null-Risiko-Variante“ keine Anwendung findet. Außerdem lehnen wir das EU-Bodengesetz ab, um weitere Belastungen zu verhindern. Darüber hinaus wollen wir überbordende Regulierungen für nachhaltige Investitionen (Taxonomie), Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD), die Lieferkettensorgfaltspflicht (CSDDD), den CO2-Grenzausgleichsmechanismus (CBAM), Konfliktmineralien oder durch die unüberschaubare Menge delegierter Rechtsakte verhindern. Wir unterstützen das europäische Omnibusverfahren zur Lieferkettensorgfaltspflicht (CSDDD), zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD), Taxonomie und CO2-Grenzausgleichsmechanismus (CBAM) und setzen uns dabei für eine bürokratiearme Lösung insbesondere für kleine und mittelständische Unternehmen ein. Wir schaffen dabei Rechts- und Planungssicherheit und unterstützen die Unternehmen bei einer guten Rechtsumsetzung.“ (Rz. 1995 ff.)

„Darüber hinaus schaffen wir das nationale Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) ab. Es wird ersetzt durch ein Gesetz über die internationale Unternehmensverantwortung, das die Europäische Lieferkettenrichtlinie (CSDDD) bürokratiearm und vollzugsfreundlich umsetzt. Die Berichtspflicht nach dem LkSG wird unmittelbar abgeschafft und entfällt komplett.

Die geltenden gesetzlichen Sorgfaltspflichten werden bis zum Inkrafttreten des neuen Gesetzes, mit Ausnahme von massiven Menschenrechtsverletzungen, nicht sanktioniert. Wir unterstützen den „Omnibus“ der Kommission, um die umfangreichen Vorgaben zum Inhalt der EU1916 Nachhaltigkeitsberichterstattung insbesondere für die mittelständische Wirtschaft deutlich zu reduzieren und zeitlich zu verschieben.“ (Rz. 1909 ff.)

Die Koalition hat es sich zum Ziel gesetzt, Bürokratie in großem Umfang abzubauen und unnötige Belastungen der Unternehmen zu verhindern.

Im Einklang mit dieser Zielsetzung befürwortet die Koalition insbesondere das sog. europäische „Omnibus"-Verfahren im Hinblick auf das Lieferkettenrecht (CSDDD), die Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD), die EU-Taxonomie und den CO2-Grenzausgleichsmechanismus (CBAM). Einzelheiten zum europäischen „Omnibus"-Verfahren haben wir in unserer Mandanteninformation vom 3. März 2025 erläutert.

Im Kontext des Bürokratieabbaus und der Vermeidung unnötiger Belastungen stehen auch die Vorschläge, das deutsche LkSG „abzuschaffen“ und durch ein Gesetz über die internationale Unternehmensverantwortung zu ersetzen, das die Europäische Lieferkettenrichtlinie (CSDDD) bürokratiearm und vollzugsfreundlich umsetzt. Nicht gänzlich klar ist insofern, ob das LkSG im Übergangszeitraum bis zum Inkrafttreten dieses Gesetzes in Gänze abgeschafft werden soll oder bis zum Inkrafttreten des Gesetzes lediglich die vorgesehenen Sanktionsfolgen (mit Ausnahme solcher für massive Menschenrechtsverletzungen) ausgesetzt werden sollen. Die entsprechende Formulierung im Koalitionsvertrag legt nahe, dass nur die Berichtspflicht nach dem LkSG „unmittelbar abgeschafft“ werden soll, während im Übrigen bis zum Inkrafttreten des Gesetzes lediglich die vorgesehenen Sanktionsfolgen ausgesetzt werden sollen.

Dies hätte die – ungewöhnliche und aus Unternehmenssicht auch unbefriedigende – Folge, dass das LkSG als solches bis auf Weiteres fortbestehen würde und damit grundsätzlich auch weiterhin zu beachten wäre. Damit würden lediglich die Berichtspflichten und die Sanktionierung, letzteres aber nur mit Ausnahme von schwerwiegenden Pflichtverletzungen, ausgesetzt. Hierin läge für die betroffenen Unternehmen keine substanzielle Erleichterung. Vielmehr würden absehbar zusätzliche Rechtsunsicherheiten geschaffen. Vorzugswürdig ist es daher, das LkSG mit sofortiger Wirkung insgesamt außer Kraft zu setzen. In der Folge könnte dann die CSDDD „eins zu eins“ in einem neuen Gesetz umgesetzt werden.

Reform des AGB-Rechts für große Kapitalgesellschaften

„Wir werden das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) reformieren, um sicherzustellen, dass sich große Kapitalgesellschaften nach § 267 Absatz 3 HGB, wenn sie untereinander Verträge unter Verwendung der AGB schließen, darauf verlassen können, dass das im Rahmen der Privatautonomie Vereinbarte auch von den Gerichten anerkannt wird.“ (Rz. 2784 ff.)

Die grundsätzliche Geltung des AGB-Rechts auch im reinen B2B-Rechtsverkehr steht seit Jahren in der Kritik. Schließlich bietet die Generalklausel des § 307 Abs. 1 BGB Gerichten eine umfassende Möglichkeit, privatautonom vereinbarten Regelungen im – schwer vorhersehbaren – Einzelfall die Geltung zu versagen.

Im Interesse der Rechtssicherheit ist es daher erfreulich, dass die künftigen Koalitionäre sich dem Ziel verschrieben haben, das AGB-Recht jedenfalls im B2B-Rechtsverkehr großer Kapitalgesellschaften untereinander zu reformieren. Es bleibt abzuwarten, was hierunter genau zu verstehen sein wird, insbesondere, ob eine AGB-Inhaltskontrolle in diesen Rechtsverhältnissen künftig gänzlich entfallen wird. Dies erscheint aus Sicht der Praxis wünschenswert, die sich bislang an aufwändigen Gestaltungsoptionen – wie der Vereinbarung einer Rechtswahlklausel unter Vereinbarung deutschen Rechts unter Ausschluss der §§ 305 ff. BGB – versucht hat, um dieses Ergebnis zu erreichen.

Keine Aussage zur Zukunft des Delistings und der unternehmerischen Mitbestimmung

Wer erwartet hatte, dass sich die künftigen Koalitionäre zur Zukunft des Rechtsrahmens für den Widerruf der Börsenzulassung (sog. Delisting) äußern, sieht sich enttäuscht. So äußert sich der Koalitionsvertrag nicht dazu, ob die künftige Bundesregierung beabsichtigt, den noch von der Ampelkoalition auf den Weg gebrachten Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Finanzierung von zukunftssichernden Investitionen (ZuFinG II) (in neuem Gewand) dem neuen Bundestag zur Beratung vorzulegen.

Damit bleibt unklar, ob insbesondere dem von Praxis und Wissenschaft identifizierten Reformbedarf des Rechtsrahmens des Delisting in der kommenden Legislaturperiode abgeholfen werden soll. Dies wäre wünschenswert, könnten hierbei doch die zum Entwurf des ZuFinG II ergangenen sachverständigen Stellungnahmen sowie die hierzu geführte Diskussion fruchtbar gemacht werden, um auf diese Weise zu für den praktischen Rechtsanwender gewinnbringenden Ergebnissen zu gelangen.

Insoweit bleiben die weiteren Entwicklungen im Nachgang an die Aufnahme der Amtsgeschäfte durch die künftige Bundesregierung gespannt abzuwarten.

Nähere Aussagen zur unternehmerischen Mitbestimmung enthält der Koalitionsvertrag nicht. Zwar wollen die Koalitionäre die Mitbestimmung weiterentwickeln" (Rz. 579). Insoweit dürfte aber die betriebliche Mitbestimmung angesprochen sein, wobei es namentlich um Online-Betriebsratssitzungen und Online-Betriebsversammlungen, Online-Wahlen oder auch Zugangsrechte der Gewerkschaften in den Betrieben geht. Konkrete Vorhaben oder Pläne zur Ausweitung der unternehmerischen Mitbestimmung, wie sie im Koalitionsvertrag der Vorgängerregierung enthalten waren, finden sich in dem aktuellen Koalitionsvertrag nicht. Auch die Mitbestimmung in der Europäischen Aktiengesellschaft (SE) wird in dem Koalitionsvertrag nicht erwähnt.

Diese Mandanteninformation beinhaltet lediglich eine unverbindliche Übersicht über das in ihr adressierte Themengebiet. Sie ersetzt keine rechtliche Beratung. Als Ansprechpartner zu dieser Mandanteninformation und zu Ihrer Beratung stehen gerne zur Verfügung.

Dr. Nicolas Ott
Dr. Florian Mader

Dr. Marcus A. Becker
Dr. Christoph Wenzel