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Praxishinweis Rechtsprechung: Abberufung eines GmbH-Geschäftsführers durch die laut Gesellschaftsvertrag unzuständige Gesellschafterversammlung

Im Streit um die Abberufung des Investors Martin Kind als Geschäftsführer bei Hannover 96 haben das Landgericht Hannover und das Oberlandesgericht Celle im Eilverfahren zur Frage entschieden, ob ein Geschäftsführer einer GmbH durch ihre Gesellschafterversammlung abberufen werden kann, wenn der Gesellschaftsvertrag abweichend von der gesetzlichen Regelung vorsieht, dass nicht die Gesellschafterversammlung, sondern der (fakultative) Aufsichtsrat zur Bestellung und Abberufung des Geschäftsführers zuständig ist.

Sowohl das Landgericht, als auch das Oberlandesgericht kamen im konkreten Fall zu dem Ergebnis, dass ein Abberufungsbeschluss der Gesellschafterversammlung nichtig sei. Ungeachtet der Einzelfragen und dem Umstand, dass es sich um eine nicht rechtskräftige Entscheidung bzw. einen bloßen Hinweisbeschluss im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes handelt, geben die Entscheidungen Anlass, die eigenen Regelungen im Gesellschaftsvertrag zu überprüfen und ggf. nachzubessern (LG Hannover, Urt. v. 16.8.2022 – 32 O 116/22 (nicht rechtskräftig); OLG Celle, Hinweisbeschluss v. 8.9.2022 – 9 U 72/22).

Die Rechtsfrage und ihr zugrundeliegender Sachverhalt scheinen zunächst simpel: Im Gesellschaftsvertrag einer GmbH war vorgesehen, dass die Kompetenz über die Abberufung eines Geschäftsführers gerade nicht bei der Gesellschafterversammlung, sondern einem fakultativ errichteten Aufsichtsrat der Gesellschaft liegen soll. Die Gesellschafterversammlung – hier in Gestalt eines Alleingesellschafters – ging darüber hinweg und fasste ungeachtet ihrer gesellschaftsvertraglichen Unzuständigkeit einen Beschluss über die Abberufung des Geschäftsführers. Dieser setzte sich gerichtlich zu Wehr und die im einstweiligen Rechtsschutzverfahren damit befassten Gerichte (in erster Instanz das Landgericht Hannover, als Berufungsgericht das OLG Celle) kamen zu dem prima vista naheliegend erscheinenden Ergebnis der Nichtigkeit des Abberufungsbeschlusses.

So einfach und klar ist die Rechtslage dann aber bei näherem Blick – wie so oft – nicht. Das gilt im Ausgangspunkt schon deshalb, weil das Beschlussmängelrecht der GmbH dem aktienrechtlichen Anfechtungsmodell folgt, sodass fehlerhafte Beschlüsse grundsätzlich nicht nichtig, sondern nur anfechtbar sind. Aber auch darüber hinaus wirft der Fall im Detail eine Vielzahl schwieriger und umstrittener Fragen auf. Die Entscheidungen geben Anlass, die Regelungen im Gesellschaftsvertrag in der Praxis zu überprüfen und ggf. nachzubessern.

Dies betrifft insbesondere drei Aspekte: Zum einen die Frage nach der Zulässigkeit einer Kompetenzverlagerung auf einen Aufsichtsrat per se (dazu I.), zum zweiten das Rechtsinstitut satzungsdurchbrechender Beschlüsse (dazu II.) und zum dritten die Besonderheiten und Wechselwirkungen zwischen Gesellschaftsvertrag und Stimmbindungsvereinbarungen (dazu III.).

I. Kompetenzverlagerungen kraft Gesellschaftsvertrag

In der GmbH liegt die Personalhoheit über die Geschäftsführung bei der Gesellschafterversammlung, die gemäß § 46 Nr. 5 GmbHG über die Bestellung und Abberufung eines Geschäftsführers bestimmen kann. Diese gesetzliche Kompetenzverteilung ist indes nicht starr vorgegeben, vielmehr handelt es sich um eine dispositive Regelung, die nur in Ermangelung besonderer Bestimmungen des Gesellschaftsvertrags Anwendung findet (§ 45 Abs. 2 GmbHG). In der Praxis ist eine solche Kompetenzverlagerung häufig vorzufinden, soweit – wie ebenfalls üblich – der Gesellschaftsvertrag einen (fakultativen) Aufsichtsrat oder Beirat vorsieht.

Eine Kompetenzverlagerung auf diese fakultativen Organe ist im Ausgangspunkt unproblematisch möglich. Wird sie im Gesellschaftsvertrag vorgesehen, kann aber fraglich sein, ob die Kompetenzverlagerung abschließend zu verstehen sein soll oder ob die Gesellschafterversammlung, zumindest in besonderen Fällen, etwa einer Abberufung aus wichtigem Grund, weiterhin zuständig bleibt. Nach zwar umstrittener, aber in der Literatur wohl herrschenden Meinung ist eine abschließende Kompetenzverlagerung samt damit einhergehenden Entmachtung der Gesellschafterversammlung möglich. Dabei wird einerseits auf das Recht der paritätisch mitbestimmten GmbH verwiesen, bei der eine Kompetenzverlagerung auf den Aufsichtsrat bereits den gesetzlichen Regelfall darstellt. Andererseits wird auf die Satzungsautonomie der Gesellschafterversammlung verwiesen, mit der jene gestaltend tätig werden und im Rahmen einer Satzungsänderung jederzeit die Kompetenzverlagerung auch wieder rückgängig machen könne. Letzteres war auch das Argument des Landgericht Hannovers im hier zugrundeliegenden Fall:

„Bedeutsam ist an dieser Stelle, dass die Gesellschafter dann, wenn sie die Abberufungskompetenz im Gesellschaftsvertrag einem anderen Gesellschaftsorgan zuweisen, sich zugleich die Zuständigkeit für die Abberufung aus wichtigem Grund vorbehalten können. Das ist vorliegend nicht geschehen. Einer Gesellschafterversammlung ist es unbenommen, den Gesellschaftsvertrag nachträglich zu ändern. Das spricht gegen eine allgemeine Befugnis der Gesellschafterversammlung, einen Geschäftsführer abweichend von den Regelungen im Gesellschaftervertrag dann abberufen zu können, wenn ein wichtiger Grund vorliegt.“ (LG Hannover, Urt. v. 16.8.2022 – 32 O 116/22 (nicht rechtskräftig) = NZG 2023, 68, 71 (Rn 45, beck-online).

In der Praxis sollte die eigene gesellschaftsvertragliche Regelung vor diesem Hintergrund überprüft und ggf. konkretisiert werden. Soweit entgegen der gesetzlichen Grundregel die Kompetenz auf einen Aufsichtsrat oder Beirat übertragen ist, kann es sich anbieten, klarzustellen, ob dies umfassend und abschließend der Fall sein oder ob nicht der Gesellschafterversammlung für besondere Fälle, etwa bei einer Abberufung aus wichtigem Grund, doch die Entscheidungsmacht verbleiben soll. Ist letzteres gewünscht, sollte dies im Gesellschaftsvertrag ausdrücklich vorbehalten werden. In diesem Fall erscheint es dann ratsam, auch weitere Regelungen vorzusehen. Beispielsweise sollten Regelungen aufgenommen werden, die eine umgehende Wiederbestellung des durch die Gesellschafterversammlung aus wichtigem Grund gerade erst abberufenen Geschäftsführers durch den zur (erneuten) Bestellung zuständig bleibenden Aufsichtsrat vermeiden.

II. Rechtsinstitut der satzungsdurchbrechenden Beschlüsse

Von einer Satzungsdurchbrechung ist die Rede, wenn Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft mit satzungsändernder Mehrheit nur für einen konkreten Einzelfall von einer Satzungsregelung abweichen wollen, ohne die Satzung hierfür dauerhaft zu ändern. Im vorliegenden Fall wurde dies virulent, weil der laut Satzung unzuständige Alleingesellschafter gleichwohl Beschluss über die Abberufung des Geschäftsführers fasste. Der Alleingesellschafter wollte die Satzung mit seinem Beschluss zwar nicht dauerhaft ändern, sie aber für diesen einzelnen Beschluss doch punktuell durchbrechen.

Mit dem Rechtsinstitut satzungsdurchbrechender Beschlüsse soll diese Flexibilität gewährleistet werden: Dem Alleingesellschafter, der nur für einen einzigen Fall von der Satzung / dem Gesellschaftsvertrag punktuell abweichen will, wäre es ein unnötiges Hindernis, wenn er dazu die besonderen Voraussetzungen einer Satzungsänderung, hier namentlich auch die Eintragung in das Handelsregister (§ 54 GmbHG), einzuhalten hätte.

Bis heute bleibt indes das Rechtsinstitut der satzungsdurchbrechenden Beschlüsse dem Grunde nach und in seinen Details umstritten. Die Rechtsprechung unterscheidet im Kern zwischen nur punktuellen Satzungsdurchbrechungen einerseits und zustandsbegründenden Satzungsdurchbrechungen andererseits. Letztere seien unwirksam, denn wenn sich ein Beschluss in seiner Wirkung nicht in der betreffenden Maßnahme erschöpfe, sondern weitergehende, eben einen dauerhaften Zustand begründende Wirkung habe, könne dieser nicht begünstigt werden und sei, soweit die Voraussetzungen für eine Satzungsänderung nicht eingehalten wurden, unwirksam.

Für die Praxis ist insoweit wichtig, dass die Rechtsprechung in den allermeisten Fällen eine zustandsbegründende Wirkung der Satzungsdurchbrechung annimmt und damit zur Unwirksamkeit entsprechender Beschlüsse tendiert. Die hierbei ohnehin bestehenden Rechtsunsicherheiten werden angesichts dieser Rechtsprechungslinie weiter verschärft. Dies bestätigt auch die hier zum Ausgangspunkt genommene Entscheidung des LG Hannover, die im konkreten Fall eine zustandsbegründende Wirkung u.a. mit Blick auf eine rein tatsächliche Pattsituation im Aufsichtsrat begründete.

Ungeachtet der rechtswissenschaftlichen Diskussion über dieses Rechtsinstituts hat die Praxis mit den bestehenden Rechtsunsicherheiten umzugehen. Soweit zur Vermeidung einer förmlichen Satzungsänderung Flexibilität vorgesehen werden soll, bieten sich dazu entsprechende Öffnungsklauseln im Gesellschaftsvertrag an. An konkreter Stelle der zu flexibilisierenden Regelung sollte dann vorgesehen werden, dass abweichend von der Grundregel eine entsprechend formulierte Ausnahme unter näher bestimmten Voraussetzungen in Betracht kommt.

III. Wechselwirkungen zwischen Gesellschaftsvertrag und Stimmbindungsvereinbarungen

Besondere Aufmerksamkeit ist in diesem Kontext auch auf etwaige schuldrechtliche Vereinbarungen zu legen. Im zugrundeliegenden Fall hatte das OLG Celle den sog. „Hannover 96-Vertrag“ als Stimmbindungsvereinbarung ausgelegt. Weil sich der Alleingesellschafter der GmbH mit diesem rein schuldrechtlichen Vertrag verpflichtete, Änderungen des Gesellschaftsvertrags nur mit Zustimmung der anderen Vertragspartei vorzunehmen, sah das Gericht hierin eine Stimmbindungsvereinbarung, die im konkreten Fall auch nicht nur bei einer förmlichen Satzungsänderung, sondern zudem bei satzungsdurchbrechenden Beschlüssen zu tragen käme.

Verstößt ein Gesellschafter gegen eine rein schuldrechtliche Stimmbindung, lässt dies die Stimmabgabe und damit die Wirksamkeit des Beschlusses grundsätzlich unberührt. Anderes kann aber gelten, wenn alle Gesellschafter bzw. ein Alleingesellschafter eine konkrete Stimmbindung eingegangen sind. Eine gesonderte Durchsetzung der Verpflichtung aus der Stimmbindungsvereinbarung wäre dann „bloße Förmelei“. Aus Gründen der Prozessökonomie sei daher ausnahmsweise von der Unwirksamkeit auch der gesellschaftsrechtlichen Stimmabgabe und folglich des Beschlusses auszugehen.

Das OLG Celle nahm darüber hinaus eine besondere Treuwidrigkeit des Stimmverhaltens an, weil sich der Alleingesellschafter der eingegangenen Bindung ersichtlich bewusst gewesen sei und sie im Wege eines satzungsdurchbrechenden Beschlusses zu unterlaufen versuchte.

Aus Sicht der Unternehmenspraxis ist vor diesem Hintergrund hervorzuheben, dass bei der Beurteilung der Wirksamkeit von Beschlüssen ausnahmsweise auch schuldrechtliche Vereinbarungen zu berücksichtigen sein können. Bei der Auslegung entsprechender Verträge sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, was namentlich auch die konkreten gesellschaftsrechtlichen Bindungen und Konzernverhältnisse miteinschließen kann. Hierauf ist schon bei der Erstellung entsprechender Vereinbarungen zu achten.

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